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Michael Kelpanides

Das Scheitern der Marxschen Theorie und der Aufstieg des westlichen Neomarxismus. Über die Ursachen einer unzeitgemäßen Renaissance

Bern u. a.: Peter Lang 1999; 504 S.; brosch., 120,- DM; ISBN 3-906763-91-9
Das Buch von Kelpanides, der in den siebziger Jahren Assistent an der Universität Frankfurt war und heute als Professor für Pädagogik an der Universität Thessaloniki lehrt, ist eine Abrechnung "mit dem massiven Aufstieg des Neomarxismus seit den sechziger Jahren" (12). Die Abrechnung ist umfassend: Im ersten Teil behandelt der Autor die Theorie von Marx, wobei er den Schwerpunkt auf die Entwicklung der materialistischen Geschichtsauffassung legt und die Widersprüchlichkeit des ökonomischen Determinismus betont. Im zweiten Teil schildert er in einem gelungenen Überblick den Übergang von der Theorie zur kommunistischen Praxis und zeigt, dass die Verbrechen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden, nicht allein das Resultat einer falschen Praxis waren, sondern dass ihr Grund in der Marxschen Geschichtstheorie liegt. Die Brutalität dieser Praxis war die logische Reaktion auf die Kluft zwischen Ideologie und Wirklichkeit: Weil die Welt sich gegen die Ideologie sperrte, sollte sie zu ihrem "Glück" gezwungen werden. Diese beiden Teile bilden den Hintergrund, vor dem die Ausführungen des dritten Teils über die Entwicklung des Neomarxismus erst ihr eigentliches Gewicht erhalten: Dort beschreibt Kelpanides ausführlich, wie die Neomarxisten von der SED-treuen Marburger Schule um W. Abendroth bis zur vorgeblich kritischen Frankfurter Schule um H. Marcuse und J. Habermas ihre Energie auf die "Herrschaftskritik" im Westen richteten und zugleich die totalitäre Herrschaft im Osten rechtfertigten, verharmlosten oder totschwiegen (vgl. 380). Die Abrechnung ist notwendig: Die Aufarbeitung von Ausmaß und Intensität der geistigen Kollaboration im Westen mit dem Kommunismus steht erst am Anfang, und hierzu leistet Kelpanides einen bedeutenden Beitrag. Und sie ist richtig, weil es darum geht, die Diskreditierung der demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen, die die Neomarxisten bewirkt haben (460), zu überwinden. Dennoch ist der Standpunkt, von dem her Kelpanides seine Kritik formuliert, problematisch: Er fordert "die institutionelle Trennung der erfahrungswissenschaftlichen Soziologie von allen Richtungen, die andere als empirisch-mathematische Wahrheitskriterien gelten lassen." (13) Wie aber kommt man mit empirisch-mathematischen Kriterien zu einem Verständnis gesellschaftlicher Prozesse, wo doch die Empirie bloß die Beobachtung, die Mathematik bloß die Berechnung liefert? Eine Beschränkung auf diese Kriterien ließe sich nur auf der Grundlage eines Materialismus rechtfertigen – und dann wäre man in der Geistfeindschaft von Marx nicht weit entfernt.
Hendrik Hansen (HH)
Dr., Lehrbeauftragter, Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 5.33 | 5.45 | 5.43 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Hansen, Rezension zu: Michael Kelpanides: Das Scheitern der Marxschen Theorie und der Aufstieg des westlichen Neomarxismus. Bern u. a.: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/11682-das-scheitern-der-marxschen-theorie-und-der-aufstieg-des-westlichen-neomarxismus_13892, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 13892 Rezension drucken