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Alexander Böhmer

Die Europäische Union im Lichte der Reichsverfassung von 1871

Berlin: Duncker & Humblot 1999 (Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel); 231 S.; 98,- DM; ISBN 3-428-09791-2
Rechtswiss. Diss. Kiel; Gutachter: J. Delbrück. - Böhmer vergleicht die föderativen Ordnungsstrukturen der Europäischen Union und des Deutschen Reiches von 1871. Die "überraschenden Parallelen", die der Autor trotz der vielen Unterschiede feststellt, werfen, seiner Meinung nach, die Frage auf, warum sich die zeitgenössische deutsche Staatslehre so schwer tut, das föderale System der EG (als der am stärksten integrierten Säule der EU) rechtlich zu erfassen. Die deutsche Staatslehre, lautet die These, habe ihre föderalistische Begrifflichkeit in der Auseinandersetzung um die Reichsverfassung von 1871 entwickelt und pflege heutzutage ein bestimmtes Verständnis föderaler Systeme, das für die Beschreibung der Organisationsprinzipien der EU ungeeignet erscheine. Sie sei in der Dogmatik eines klassischen "dualistischen Föderalismusverständnis[ses]" befangen, das im Gegensatz zu den Prinzipien eines modernen "transnationalen Föderalismusverständnisses" stehe. Unter "dualistischem Föderalismusverständnis", welches im ersten Teil der Arbeit dargestellt wird, versteht der Autor die klare Kompetenzausgrenzung bzw. Kompetenzbewahrung im Rahmen einer rechtsstaatlichen Organisationsstruktur. Übertragen auf die internationale Ebene lässt dieses Staatsverständnis nur lose zwischenstaatliche Verbindungen (z. B. Staatenbünde) zu, die die Souveränität der beteiligten Staaten in keiner Weise verletzt. Das dualistische Föderalismusverständnis bezeichnet der Autor als veraltet und unfähig, moderne transnationale föderale Systeme wie die EU zu beschreiben. Das "transnationale Souveränitätsverständnis", Gegenstand der Untersuchungen im zweiten Teil, ist dagegen stärker an der Einheitlichkeit und der gegenseitigen Verklammerung der Rechtsordnungen der zwischenstaatlichen Organisation (EU) und deren Mitgliedstaaten orientiert. Als konkretes Beispiel einer solchen Verklammerung der Rechtsordnungen führt Böhmer das EU-Kartellrecht ein. Abschließend betont er, dass ein grundlegend neues Föderalismusverständnis entwickelt werden soll, welches den Gegensatz zwischen "dualistischem" und "transnationalem" Föderalismus beseitigt und nicht nur an der Kompetenzbewahrung und -abgrenzung, Funktions- und Aufgabenteilung, sondern auch an der Einheitlichkeit und Verklammerung der Rechtsordnungen der EU und der Mitgliedstaaten ausgerichtet ist.
Deliana Popova (DP)
Dipl.-Politologin.
Rubrizierung: 2.311 | 3.1 Empfohlene Zitierweise: Deliana Popova, Rezension zu: Alexander Böhmer: Die Europäische Union im Lichte der Reichsverfassung von 1871 Berlin: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/11747-die-europaeische-union-im-lichte-der-reichsverfassung-von-1871_13991, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 13991 Rezension drucken