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Mark Mazower

Der dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Hans-Joachim Maass

Berlin: Alexander Fest Verlag 2000; 640 S.; geb., 68,- DM; ISBN 3-8286-0080-8
Zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts schien der Sieg der Demokratie eine ausgemachte Sache. Manche sahen im Zerfall des Kommunismus sogar den Endpunkt einer Reise des Kontinents zu seinen Ursprüngen bzw. zu seiner eigentlichen Bestimmung. Nationalismus, Kommunismus und Faschismus waren in dieser Lesart nicht viel mehr als zwar bedrohliche, letztlich jedoch vorüber gehende Ausbrüche aus der europäischen Wertegemeinschaft. Auch wenn dies vielen geholfen haben mag, sich im neuen Glanz von Frieden und Demokratie in Europa zu sonnen, mit der Realität hat diese Argumentation nicht viel zu tun, meint der Autor in seinem beeindruckenden Buch. Mazower stellt die europäische Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts als einen Konflikt von Wertvorstellungen dar, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, aber doch alle der europäischen Tradition entstammen: liberale Demokratie, Kommunismus und Nationalsozialismus bzw. Faschismus. Die Entwicklung steuerte dabei keineswegs unfehlbar auf einen umfassenden Sieg der Demokratie zu. Vielmehr balancierte Europa durch den Konflikt der Ideologien ständig am Abgrund, und die Entwicklungen am Ende des Jahrhunderts waren lediglich das Ergebnis "knapper Entscheidungen und unerwarteter Wendungen, nicht aber unvermeidlicher Siege und stürmischer Märsche" (10). Bedrohlicher als der Gegensatz von Kommunismus und Kapitalismus, um den sich viele Analysen drehen, ist für Mazower der Konflikt zwischen Demokratie und Nationalsozialismus gewesen: "Besonders der Nationalsozialismus paßt weit besser zu den Hauptströmungen nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Geschichte als den meisten Menschen lieb ist." (11) Mazower wendet sich gegen die Einschätzung, die Geschichte habe Europa nach 1989 verlassen oder sei hierhin zurückgekehrt. "Mit dem Ende des Kalten Krieges veränderte sich lediglich Europas Ort in der Geschichte." (559) Ein Europa im Sinne einer historischen und moralischen Einheit hat es im vergangenen Jahrhundert nicht gegeben. Der Kontinent wurde keineswegs von einer "allmählichen Konvergenz des Denkens und Fühlen [...] sondern ganz im Gegenteil von einer Reihe gewalttätiger Zusammenstöße diametral entgegengesetzter Neuer Ordnungen" (561) geprägt. Die Desillusionierung am Ende des Jahrhunderts ist vor diesem Hintergrund nur konsequent: Europa leidet heute an "ideologischer Erschöpfung", Politik ist zu einer "unvisionären Sache" geworden" (561), meint Mazower. Von der Sicht Europas als dem urwüchsigen Hort der Demokratie bleibt bei ihm nichts mehr übrig. Auch die einzige Vorstellung davon, was Europa heute eigentlich ist, die Vision einer immer näher bis hin zur politischen Union zusammenrückenden Europäischen Gemeinschaft, stößt bei Mazower auf Skepsis. Er verweist darauf, dass der Nationalstaat als solcher zwar zweifellos eine Mitschuld an den Millionen Toten in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts trägt. Gleichzeitig trug er doch auch zum friedlichen Charakter der zweiten Hälfte bei (565). Entscheidend ist für Mazower, die Vielfalt Europas zu erkennen und zu bewahren. Er ist in seiner politischen Wertung sehr skeptisch, ob dies im Rahmen eines vereinigten Europas gelingen kann. Mazowers Analyse der europäischen Politik und Gesellschaftsgeschichte im zwanzigsten Jahrhundert ist in der besten angelsächsischen Tradition geschrieben. Die Darstellung besticht durch den großen Detailreichtum, die Analyse liefert eine Fülle von Anregungen zur eigenen Positionsbestimmung und die von jeglichem Wissenschaftsjargon freie Sprache öffnet dieses wichtige Buch einem weiten Leserkreis.
Walter Rösch (WR)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.2 | 2.61 | 2.62 | 2.3 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Walter Rösch, Rezension zu: Mark Mazower: Der dunkle Kontinent. Berlin: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/11782-der-dunkle-kontinent_14035, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 14035 Rezension drucken