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Franz Walter / Tobias Dürr

Die Heimatlosigkeit der Macht. Wie die Politik in Deutschland ihren Boden verlor

Berlin: Alexander Fest Verlag 2000; 275 S.; geb., 34,- DM; ISBN 3-8286-0111-1
Der Politikwissenschaftler Walter und der Zeit-Redakteur Dürr diagnostizieren der Parteienlandschaft in der Bundesrepublik erhebliche Zerfallserscheinungen. Nur eine gleichsam in sozialen Milieus, Traditionen und Erwartungshorizonten geerdete Politik könne überhaupt zukunftsfähig sein. Parteien seien in der Geschichte der Bundesrepublik gerade dann erfolgreich und modern gewesen, wenn sie sich eben nicht als "modern" verstanden hätten, sondern vielmehr einen Spagat zwischen Beständigkeit und Wandel geleistet hätten, den man in den Slogans von "Innovation und Gerechtigkeit" oder aber von "Labtop und Lederhose" etwas durchklingen hört. Die Parteien in Deutschland haben diesen Spagat mal mehr, mal weniger gut beherrscht. Die Rückkopplung an definierbare Traditionen und Milieus sehen Walter und Dürr mithin als Bedingung der Zukunftsfähigkeit von Parteien: "Was Politik und Gesellschaft in Deutschland am Beginn des neuen Jahrhunderts fundamental bedroht, ist der Zusammenbruch aller kollektiven Glaubensvorstellungen, ihrer sozialen Milieus und, damit einhergehend, das Fehlen jeder verlockenden Vorstellung von Zukunft." (260) Von dieser Überlegung her prognostizieren sie der FDP und den Grünen eine äußerst düstere Zukunft, während der PDS und der CSU eine versteckte Wesensverwandtschaft attestiert wird, die sie - beide auf unterschiedliche Art und Weise - zu den eigentlich modernen Parteien mache. Die Thesen von Walter und Dürr sind gelegentlich unkonventionell, die Darstellung ist essayistisch und neigt zur pointierten Formulierung ("So aber wurde die Sozialistische Einheitspartei im Osten zum Geburtshelfer und Garanten der bürgerlichen Einheitspartei im Westen Deutschlands." [133]), um große Entwicklungslinien zu skizzieren, die allesamt auf die These des Auseinanderdriftens von Politik und Gesellschaft hinauslaufen. Auch wenn man die Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung, die Unbeirrbarkeit und Eindeutigkeit ihres Verlaufs oder den deutlich artikulierten, desillusionierten Pessimismus von Walter und Dürr nicht teilt - ihre gedankenreichen Ausführungen sind als eine Art Bestandsaufnahme der Parteienlandschaft in der "Berliner Republik" höchst lesenswert. Inhalt: 1. Der Schein der Macht: Regieren in der Publikumsgesellschaft; 2. Opfer ihrer Modernität: Die Freien Demokraten; 3. Eine Generation nimmt Auszeit: Die Grünen; 4. Die Fußkranken machen nicht mehr mit: Die SPD; 5. Vieles muss sich ändern, doch die Kirche bleibt im Dorf: Die CDU; 6. Zwischen Beschleunigung und Populismus: Die CSU; 7. Von der Einheitspartei des verlorenen Staates zur Heimatpartei des neuen Ostens: Die PDS; 8. Zwerge ohne Ziel: Die Parteien nach dem Zerfall ihrer Voraussetzungen.
Manuel Fröhlich (MF)
Prof. Dr., Juniorprofessur für Politikwissenschaft, Universität Jena (www.manuel-froehlich.de).
Rubrizierung: 2.331 Empfohlene Zitierweise: Manuel Fröhlich, Rezension zu: Franz Walter / Tobias Dürr: Die Heimatlosigkeit der Macht. Berlin: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/11786-die-heimatlosigkeit-der-macht_14040, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 14040 Rezension drucken