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Horst-Eberhard Richter

Wanderer zwischen den Fronten. Gedanken und Erinnerungen

Köln: Kiepenheuer & Witsch 2000; 350 S.; geb., 42,- DM; ISBN 3-462-02890-1
Ein Panorama der Geschichte des Deutschlands der Nachkriegszeit ist dieses Buch, erzählt aus der Perspektive eines Intellektuellen, dem die Schlüsselerfahrung des Zweiten Weltkriegs zum Prägestein des eigenen Engagements in der Nachkriegsgesellschaft wurde. Richter bekennt Farbe gegen den Krieg, gegen die deutsche Politik der Ära Adenauer, für Willy Brandt, Gorbatschow und Lafontaine. Unaufdringlich, aber bestimmt kommentiert er politische Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte, plaudert aus dem Nähkästchen, ohne indiskret zu werden und kritisiert, ohne auch nur den Anschein des Dogmatismus zu erwecken. So authentisch schillert die humanistische Grundintention seines Werkes durch die sehr persönliche Erzählung seiner Lebensgeschichte, dass selbst der Richters Positionen kritisch gegenübergestellte Leser sich der Sympathie mit dem Autor kaum wird erwehren können. Neben den politischen Trendbeschreibungen des Psychoanalytikers, der sich vor allem in seinem 1978 erschienenen Buch "Der Gotteskomplex" der Kulturpsychologie zugewandt hatte, sind für den politikwissenschaftlich interessierten Leser die Passagen über Willy Brandt, Gorbatschow und Lafontaine von Interesse, mit denen Richter persönliche Freundschaften unterhielt bzw. unterhält. In allen dreien schätzt er die visionäre Friedenspolitik, ihren Einsatz für Versöhnung und atomare Abrüstung sowie die selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen nationalen Vergangenheit. Sie verkörpern für ihn Typen idealistischer Politiker, die letztlich hilflos denen ausgeliefert gewesen seien, die sie gestürzt hätten. Trotz aller Sympathie fehlt Richter nicht die Distanz Politikern gegenüber, die Vorbild und Freund gleichzeitig sind: "Mag Lafontaine sich von Schröder verraten fühlen - sein eigener Verrat ist viel schlimmer. Schamlos davonzulaufen, die mühsam integrierte Partei im Stich zu lassen, das tut man nicht!" (184) "Wanderer zwischen den Fronten" ist Richter nicht nur in seinem Bemühen zwischen festgefahrenen Systemen ebenso wie zwischen sich abschottenden sozialen Gruppen zu vermitteln - zwischen den Fronten bedeutet in einem sehr wörtlichen Sinn auch gegen Militarismus jedweder Couleur. Sein sozialer Humanismus verbindet sich mit einem konsequenten Pazifismus, der auch den Krieg gegen Serbien kompromisslos an den Pranger stellt. Hier einzig, in der Nähe zu den unmittelbaren Ereignissen, verliert sein zwar immer bestimmtes, aber im Ton sonst maßvolles Urteil ein wenig von seiner Besonnenheit - Richter unternimmt in seiner biographisch nachvollziehbaren Empörung nicht einmal den Versuch, sich in die Lage etwa Außenminister Fischers zu versetzen. Hier widerspricht der noch junge Zorn, die Enttäuschung über den außenpolitischen Schwenk der rotgrünen Regierung, der von Auschwitz geprägten, humanistisch gefärbten Lebensphilosophie Richters, dessen Wissenschaft und soziales Engagement verbindendes Leben sich auf 350 spannend geschriebenen Seiten nachlesen lässt.
Florian Weber (FW)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.3 Empfohlene Zitierweise: Florian Weber, Rezension zu: Horst-Eberhard Richter: Wanderer zwischen den Fronten. Köln: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/11789-wanderer-zwischen-den-fronten_14044, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 14044 Rezension drucken