Geschichte und Zukunft der Arbeit
"Erwerbsarbeit" als eine über Arbeitsmärkte vermittelte, auf Vertragsbasis erbrachte und monetär entlohnte Arbeit hat erst Ende des 19. Jahrhunderts in den modernen Gesellschaften jene zentrale Bedeutung erlangt, die in dem Begriff der "Arbeitsgesellschaft" zum Ausdruck kommt. Vor diesem Hintergrund umschreibt die vielfach formulierte Diagnose einer "Krise der Arbeitsgesellschaft" die Annahme, die Institution des Arbeitsmarktes werde ihre bisherige gesellschaftliche Integrationsleistung verlieren - sei es faktisch aufgrund des Niveaus der Unterbeschäftigung, sei es normativ etwa als Folge neuer, sozial anerkannter Tätigkeitsformen jenseits der Erwerbsarbeit. Mit beiden Teilfragen setzt sich der außerordentlich anregende Band auseinander. Auf der einen Seite stehen - mit dem intertemporalen (19 ff.) und dem kulturellen Vergleich (117 ff.) sowie der Frage nach den Bindungseffekten von Arbeit (421 ff.) - Gesichtspunkte, die die gegenwärtige Institutionalisierung von Erwerbsarbeit (deskriptiv oder kritisch) relativieren, ohne damit schon über alternative Entwürfe zu verfügen. Auf der anderen Seite gelten - enger auf das Politikfeld bezogen - Überlegungen arbeitsmarktpolitischen Strategien (197 ff.) sowie Konsequenzen einer möglichen Neubestimmung von Arbeit für komplementäre Politikbereiche (265 ff.). Der Band enthält die überarbeiteten Referate und Kommentare einer im März 1999 vom Wissenschaftskolleg zu Berlin veranstalteten Konferenz. Die Tagung selbst ist eingebunden in das am Wissenschaftskolleg 1998-2001 laufende Forschungsvorhaben "AGORA - Arbeit, Wissen, Bindung".
Inhalt: Arbeit im intertemporalen Vergleich: Christopher Hann: Echte Bauern, Stachanowiten und die Lilien auf dem Felde. Arbeit und Zeit aus sozialanthropologischer Perspektive (23-53); Wilfried Nippel: Erwerbsarbeit in der Antike (54-66); Otto Gerhard Oexle: Arbeit, Armut, "Stand" im Mittelalter (67-79); Richard van Dulmen: "Arbeit" in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Vorläufige Bemerkungen (80-87); Hansjörg Siegenthaler: Arbeitsmarkt zwischen Gleichgewicht und Ungleichgewicht im Zeitalter modernen Wirtschaftswachstums (88-109); Richard Biernacki: Arbeitsmarkt zwischen Kontingenz und Kontinuität. Kommentar zu Hansjörg Siegenthaler (110-114). Arbeit im Vergleich der Kulturen: Ravi Ahuja: Geschichte der Arbeit jenseits des kulturalistischen Paradigmas. Vier Anregungen aus der Südasienforschung (121-134); Toshiko Himeoka: Die "betriebszentrierte" Gesellschaft und die Geschlechterverhältnisse in Japan (135-147); Norani Othman: Auffassung, Wahrnehmung und Kultur der Arbeit in der malaiischen Gesellschaft. Ein Überblick (148-162); Rüdiger Klein: Arbeit und Arbeiteridentitäten in islamischen Gesellschaften. Historische Beispiele (163-174); Georg Elwert: Jede Arbeit hat ihr Alter. Arbeit in einer afrikanischen Gesellschaft (175-193). Beschäftigungskrise in Europa: Konkurrierende Erklärungen und Therapieangebote: Warnfried Dettling: Diesseits und jenseits der Erwerbsarbeit (202-214); Gert G. Wagner: Erwerbsarbeit sollte Zukunft haben (215-233); Rolf G. Heinze / Wolfgang Streeck: Institutionelle Modernisierung und Öffnung des Arbeitsmarktes: Für eine neue Beschäftigungspolitik (234-261). Neubestimmung der Arbeit: Bedingungen und Folgen: Günther Schmid: Arbeitsplätze der Zukunft: Von standardisierten zu variablen Arbeitsverhältnissen (269-292); Alain Supiot: Wandel der Arbeit und Zukunft des Arbeitsrechts in Europa (293-307); Hans Bertram: Arbeit, Familie und Bindungen (308-342); Karin Hausen: Arbeit und Geschlecht (343-361); Martin Kohli: Arbeit im Lebenslauf: Alte und neue Paradoxien (362-382); Karl Ulrich Mayer: Arbeit und Wissen: Die Zukunft von Bildung und Beruf (383-409); Karen Rosenberg: Work of Art - Art as Work: Reparatur (410-418). Arbeit und Bindung: John Gray: Die Erosion impliziten Wissens im Spätkapitalismus und die Zukunft der Arbeit (424-430); Richard Sennett: Arbeit und soziale Inklusion (431-446). Coda: Sebastian Conrad / Elisio Macamo / Bénédicte Zimmermann: Die Kodifizierung der Arbeit: Individuum, Gesellschaft, Nation (449-475); Jürgen Kocka: Arbeit früher, heute, morgen: Zur Neuartigkeit der Gegenwart (476-492); Claus Offe: Anmerkungen zur Gegenwart der Arbeit (493-501).