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Armin Thurnher

Heimniederlage. Nachrichten aus dem neuen Österreich

Wien: Paul Zsolnay Verlag 2000; 253 S.; geb., 34,- DM; ISBN 3-552-04975-4
"Österreich hat sich selbst verloren." (250) Dies ist Thurnhers Diagnose der österreichischen "Heimniederlage" nach der letzten Nationalratswahl und der Bildung der ÖVP-FPÖ-Regierung im Februar 2000, der so genannten "Wende" in der österreichischen Politik. Inwiefern dies tatsächlich eine Wende im Sinne substanzieller beziehungsweise formaler Veränderungen darstellt, ob die Sanktionen der vierzehn anderen EU-Staaten gerechtfertigt beziehungsweise sinnvoll waren, wie sich die österreichische Politik und Gesellschaft im Jahre 2000 entwickelt haben und wo bei alledem die FPÖ zu verorten ist, erörtert der Autor - mehr essayistisch allerdings als auf der Basis eines übergreifenden Konzeptes. Das Buch ist nicht so großartig wie sein Vorgänger "Das Trauma, ein Leben. Österreichische Einzelheiten" (1999), für das Thurnher den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch des Jahres erhalten hat. Auch dies ist keine politikwissenschaftliche, wohl aber eine politische (und gesellschaftliche) Analyse voll Scharfsinn und Scharfzüngigkeit, ein erneutes Beispiel für Thurnhers brillante Beobachtungsgabe. Nur sind sich beide Bücher doch zu ähnlich, was der Fortsetzung ja bekanntlich selten gut tut. Auch die Regel, wonach mit der zeitlichen Distanz auch die sachliche zu einem Thema schwindet, scheint sich zu bewahrheiten. Es gibt so manche Wiederholung und auch Widersprüche. So heißt es einmal über die heutige FPÖ: "Ohne Haider ist sie nichts, und deswegen sind ihre Figuren nichts als Haider" (128). In einem anderen Zusammenhang hingegen kommentiert Thurnher den Ausspruch von Haiders Nachfolgerin im Amt des Bundesparteiobmanns, Susanne Riess-Passer, dass nämlich "die Partei [...] Jörg Haider", wie folgt: "Das stimmt womöglich nicht ganz" (145). Überhaupt bewegt sich Thurnhers Argumentation - etwa bei dem allzu knapp geratenen Versuch, die FPÖ als rechtsextreme Partei auszuweisen (60 ff.) - des Öfteren vor allem auf der Ebene der (politischen) Behauptungen und der reinen Wortspielereien, was dem Buch Überzeugungskraft nimmt. So wirkt der Autor in seinem Bestreben, den rechtsextremen Charakter der FPÖ zu zeigen, doch zuweilen etwas überspannt. Zum Beispiel bescheinigt er den Wahlplakaten der FPÖ, in ihrer "graphische[n] Gestaltung von schwarzer Schrift auf gelbem Grund" "naziartige Ästhetik" zu besitzen (157). (Nach dieser Logik müssten alle deutschen Ortstafeln aufgrund ihrer Farbgebung in nächster Zeit dringend zu einem Politikum werden.) Und muss Thurnher einem FPÖ-Politiker, etwa dem Finanzminister Grasser, einmal tatsächlich zugestehen, dass von ihm keine nationalsozialistischen Anspielungen überliefert sind, so bekommt dieser eben nur das Prädikat "Rassismus auf Samtpfoten" (145) verliehen. Damit kein Irrtum entsteht: Wenn es um das Sezieren der österreichischen Mentalität und Psyche geht, ist Thurnher abermals wahrlich meisterhaft. Letztlich wird aber die größte Stärke des Buches zugleich zu seiner gravierendsten Schwäche. Denn Thurnhers feuilletonistische Spracheleganz hört man in dem Moment auf zu goutieren, in dem nicht mehr zu übersehen ist, dass sie als - ungenügender - Ersatz für echte Argumente benutzt wird, um eine politische Position zu be(ver)urteilen. Inhalt: I. Trubel, Trauma, Niederlage; II. Schock im Oktober; III. Die Republik der Sondierer; IV. Das Ende einer Ära; V. Die Sanktionen; VI. Wende ins neue Österreich; VII. Die Politik der Lüge; VIII. Da fahren wir jetzt drüber; IX. Man sollte dagegen sein; X. Mehr Gurkenstaat als Schurkenstaat.
Leslie Piert (LP)
Rubrizierung: 2.4 Empfohlene Zitierweise: Leslie Piert, Rezension zu: Armin Thurnher: Heimniederlage. Wien: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/13288-heimniederlage_15923, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 15923 Rezension drucken