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Peter Sloterdijk

Die Verachtung der Massen. Versuche über Kulturkämpfe in der modernen Gesellschaft

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000 (edition suhrkamp Sonderdruck); 96 S.; kart., 10,- DM; ISBN 3-518-06597-1
Der Text geht auf einen Vortrag zurück, den der Autor als Gast der Bayerischen Akademie der Schönen Künste im Juli 1999 in München gehalten hat. Darin setzt er sich mit der Geschichte dessen auseinander, was er als das "Projekt der Moderne, die Masse als Subjekt zu entwickeln" (30) umreißt. Der in fünf Abschnitte gegliederte Essay erörtert zunächst die öffentliche Manifestation der Menschenmasse im Verhältnis zum Problem ihrer Organisation und Regie und geht dabei insbesondere auf den Führerkult und den politischen Typus des "Massenführers" ein, wie sie sich zumal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausbildeten. Daran schließt eine Betrachtung der Ambivalenz zwischen "Verachtung" und "Umschmeichelung" der Masse als politischem Subjekt an, für die der Autor weit in die politische Philosophie und die Gesellschaftstheorie seit der frühen Neuzeit ausholt. Von Hobbes und Spinoza bis hin zu Nietzsche und Heidegger spannt sich der Bogen der hier behandelten Denker. Der spätestens seit der Französischen Revolution virulenten Forderung nach Egalisierung beziehungsweise der konkreten wie symbolischen Aufhebung der "vertikalen" Differenzierung der Gesellschaft mit dem Ziel und Resultat ihrer einheitlichen Nivellierung widmen sich der dritte und vierte Abschnitt. Vor allem die unterschiedlich motivierten kulturkritischen Schriften, die nach der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden (Horkheimer und Adorno, Jaspers, Canetti), werden dort auf ihren deskriptiven Gehalt und ihr analytisches Interesse hin untersucht. Im abschließenden Abschnitt nimmt der Autor eine Analyse des gegenwärtigen Zustands vor, den er als "kritisches Stadium" definiert, in dem "alle Unterscheidungen als Unterscheidungen der Masse vollzogen werden sollen" (85). Vor allem die Erscheinungen der Massenkultur beziehungsweise der massenmedialen Kommunikation deutet er als aufschlussreichste Belege für die ausnahmslos nivellierte und auf die Ausscheidung jeglicher Ausnahme beziehungsweise Differenz ausgerichtete Formation der Masse, deren Einzelne andererseits sich nur mehr virtuell als Teil von ihr verstehen können, da sie durch ein komplexes System von "Betriebs-, Verwertungs- und Verwaltungsformen" (94) an ihrem jeweiligen Platz gehalten und gesteuert werden.
Michael Hein (HN)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Michael Hein, Rezension zu: Peter Sloterdijk: Die Verachtung der Massen. Frankfurt a. M.: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/13368-die-verachtung-der-massen_16019, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 16019 Rezension drucken