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Dietmar Schössler / Michael Plathow (Hrsg.)

Öffentliche Theologie und Internationale Politik. Zur Aktualität Reinhold Niebuhrs

Wiesbaden: Springer VS 2013 (Transatlantische Beziehungen); 170 S.; brosch., 39,95 €; ISBN 978-3-658-00023-3
Spätestens durch das Bekenntnis von Barack Obama, er liebe Reinhold Niebuhr, wird ersichtlich, dass dieser US‑amerikanische Theologe nicht nur die Zeit des Kalten Krieges prägte, sondern dass sein christlicher Realismus auch 42 Jahre nach seinem Tod aktuell ist. Daher erscheint dieser Aufsatzband, der die Reihe „Transatlantische Beziehungen“ eröffnet, relevant. Allerdings sind die meisten Aufsätze belanglos; man erfährt Altbekanntes über den Kalten Krieg und wird mit hausbackenen Einschätzungen der aktuelleren Lage versorgt, beispielsweise dass „moralistische Politik, die überoptimistisch die Möglichkeiten von Vernunft und Kooperationsneigung in den internationalen Beziehungen zu erkennen vermeint, […] die in allen gegenwärtigen gesellschaftlichen ‚Friedens‘‑Strukturen bereits vorhandenen Momente von Ungerechtigkeit und Zwang“ (37) übersehe. Lehrreich ist die Analyse des Demokratieverständnisses Niebuhrs von Nina‑Dorothee Mützlitz, in der sie einige sozialethische Impulse des Theologen entfaltet. Ein Aufsatz ist von besonderer Aktualität: Alexander Dietz greift die Diskussion um „Hartz IV“ auf und kommentiert sie mit grundlegenden Einsichten Niebuhrs. Zum einen wird dessen pessimistisches Menschenbild kritisch gegen die derzeitige Regelung ins Feld geführt: Es werde nur mit Blick auf die Leistungsempfänger rezipiert, während den Fallmanagern eine Macht zugesprochen werde, als ob sie nicht von Sünde bedroht seien. Zum anderen greift Dietz den Ideologievorwurf Niebuhrs – für diesen ist der Begriff Ideologie negativ besetzt im Sinne von „vorurteilsbehaftet“ und „manipulativ verschleiernd“ – auf und wendet ihn gegen die paradigmatische Verurteilung von Hartz‑IV‑Empfängern als Sozialbetrüger an. Auch die Neigung der evangelischen Kirche, sozialethische Probleme (wie die Verteilung von Arbeit) auf individualethische Fragen (wie die persönliche Verantwortung) zu reduzieren, stellt er in diesen Zusammenhang. Hier wird spürbar, dass ein christlicher Realismus mutig die Dinge ändern will, die geändert werden sollten, ohne das Machbare zu überschätzen und die Sünde zu unterschätzen – wie es Niebuhr in seinem Gelassenheitsgebet formuliert hatte.
Volker Stümke (VS)
Dr., evangelischer Theologe, Priv.-Doz. für evangelische Sozialethik, Führungsakademie der Bundeswehr Hamburg.
Rubrizierung: 2.1 | 2.23 | 2.35 | 4.1 Empfohlene Zitierweise: Volker Stümke, Rezension zu: Dietmar Schössler / Michael Plathow (Hrsg.): Öffentliche Theologie und Internationale Politik. Wiesbaden: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/14568-oeffentliche-theologie-und-internationale-politik_43946, veröffentlicht am 05.06.2013. Buch-Nr.: 43946 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken