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Ulrike Jureit (Hrsg.)

Politische Kollektive. Die Konstruktion nationaler, rassischer und ethnischer Gemeinschaften

Münster: Westfälisches Dampfboot 2001; 255 S.; 24,80 €; ISBN 3-89691-509-6
Spätestens seit dem Erscheinen von Benedict Andersons Buch "Imagined Communities" im Jahr 1983 scheint der langjährige Streit über die Entstehung und den Ursprung politischer Kollektive beendet zu sein. In der wissenschaftlichen Literatur über dieses Thema herrscht (mindestens auf den ersten Blick) eine breite Übereinstimmung: Politische Kollektive stellen keine überzeitlichen Wesen und keine Essenz dar. Sie sind eine "Erfindung", ein Produkt des kollektiven Glaubens an identitätsstiftende gemeinsame Merkmale, eine soziale Konstruktion, die im gesellschaftlichen Austauschprozess immer wieder neu definiert werden muss. Der Sammelband stellt die Frage nach der Aktualität und der Bedeutung dieser These für die gegenwärtige Identitätsforschung. Die meisten Beiträge gehen dem langjährigen Streit zwischen so genannten konstruktivistischen und essentialistischen Ansätzen in der Nationsforschung auf die Spur und stellen den vermeintlichen Sieg des konstruktivistischen Verständnisses infrage. Die Argumente der Autoren können wie folgt zusammengefasst werden: Erstens ist die konstruktivistische Auffassung von der Identität politischer Kollektive keine Erscheinung der Postmoderne, sondern war schon in Werken von Klassikern wie Ernest Renan und Max Weber vertreten, in deren Tradition die meisten Autoren auch Andersons Buch betrachten. Zweitens, um eine Anziehungskraft überhaupt ausüben zu können, benötigt auch die konstruktivistische Auffassung von Nation als eine Erfindung der Moderne essentialistische Merkmale und greift bewusst oder unbewusst immer wieder auf diese zurück. Deswegen sei auch eine "Unterscheidung zwischen einem essentialistischen und einem voluntaristischen Nationsbegriff [...] für ein angemessenes Verständnis der Geschichte des Nationalismus ungeeignet" (69). Die Autoren des Sammelbandes, die meisten von ihnen Historiker, haben zum Ziel, über die Mechanismen und die Gefahren der immer wiederkehrenden Objektivisierung der Konstruktion Nation aufzuklären. Inhalt: Ulrike Jureit: Imagination und Kollektiv. Die "Erfindung" politischer Gemeinschaften (7-20). Die Konstruktion politischer Kollektive: Philipp Sarasin: Die Wirklichkeit der Fiktion. Zum Konzept der imagined communities (22-45); Jakob Tanner: Nation, Kommunikation und Gedächtnis. Die Produktivkraft des Imaginären und die Aktualität Ernest Renans (46-67); Christian Geulen: Die Nation als Wille und Wirklichkeit. Historische Anmerkungen zu einer problematischen Unterscheidung (68-80); Svenja Goltermann: Identität und Habitus. Konzepte zur Analyse von "Nation" und "nationalem Bewusstsein" (81-100). Politische Vergemeinschaftung als Konflikt: Dirk Richter: Nation: Systemtheoretische Beobachtungen am Beispiel des Kosovo-Konflikts (102-121); Sven Oliver Müller: Die umstrittene Gemeinschaft. Nationalismus als Konfliktphänomen (122-143); Ulrich Bielefeld: Ethnizität und Gewalt. Kollektive Leidenschaft und die Existentialisierung von Ethnizität und Gewalt (144-162); Hans-Walter Schmuhl: "Rassen" als soziale Konstrukte (163-179). Kollektive Sinnstiftung und Identität: Peter Berghoff: "Volk" und "Nation" als Schlüsselsymbole moderner politischer Religion (182-198); Manfred Hettling: Erlösung durch Gemeinschaft. Religion und Nation im politischen Totenkult der Weimarer Republik (199-225); Dagmar Günther: Blick zurück im "Nationalen"? "Lebenserinnerungen" deutscher Bildungsbürger des Kaiserreichs (226-254).
Deliana Popova (DP)
Dipl.-Politologin.
Rubrizierung: 2.23 | 2.35 | 2.311 Empfohlene Zitierweise: Deliana Popova, Rezension zu: Ulrike Jureit (Hrsg.): Politische Kollektive. Münster: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/15586-politische-kollektive_17770, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 17770 Rezension drucken