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Frank Adloff

Im Dienste der Armen. Katholische Kirche und amerikanische Sozialpolitik im 20. Jahrhundert

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2003 (Campus Forschung 853); 381 S.; kart., 43,- €; ISBN 3-593-37271-1
Diss. FU Berlin. - Die Arbeit ist am John F. Kennedy-Institut im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Probleme der Demokratie in den USA" entstanden. Das Hauptuntersuchungsinteresse ist auf die „katholische Kirche als Organisation und kollektiver Akteur in ihrem Verhältnis zum [amerikanischen] Wohlfahrtsstaat" gerichtet (68 f.). Die Studie basiert auf einer souveränen Auswertung der amerikanischen Sekundärliteratur, einer ganzen Reihe von im Jahr 1998 geführten Interviews mit sozialpolitisch Verantwortlichen in Politik und katholischer Kirche sowie einer intensiven Beschäftigung mit soziologischen Theorien zu den Themen „Kollektive Akteure", „Soziale Bewegungen" und „Religion und Zivilreligion". Die Darstellung selbst beginnt im späten 19. Jahrhundert und reicht bis in die späten 90er-Jahre. Unter Berücksichtigung der jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen werden die Entstehung und der Aufbau einer auf nationaler Ebene handlungsfähigen katholischen Bischofskonferenz sowie einiger sozialpolitisch relevanter katholischer Organisationen geschildert. Umsichtig und ungefähr gleichgewichtig wird deren sozialpolitische Verortung in der Phase des New Deals, des „War on Poverty" in den 60er-Jahren, der Reagan-Ära und zuletzt der großen Welfare Reform unter Clinton dargestellt. Gleichsam nebenbei vermittelt Adloff zahlreiche Facetten der Geschichte des amerikanischen Katholizismus. Aus dem länglichen theoretischen Anweg wird - vor allem im Rückgriff auf eine Theorie Sozialer Bewegungen - die interpretierende These, dass sich die katholische Kirche von einer ehemals politisch nicht handlungsfähigen sozialen Großgruppe hin zu einem heute allgemein anerkannten, eigenständigen Akteur in der amerikanischen Sozialpolitik entwickelt hat. Wichtige Etappen des Weges waren die Politisierung der Hierarchie zugunsten der Interessen der eigenen Kirchenmitglieder nach dem Ersten Weltkrieg, die gesellschaftliche Integration der katholischen Minderheit in den 60er-Jahren sowie der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil einsetzende Aufbruch zu einer autonom formulierten und politisch selbständig vertretenen religiös-ethischen Grundoption der Kirche zugunsten der Armen und benachteiligter Dritter. Obschon Adloff die Zukunft eher skeptisch beurteilt, fällt das Urteil insgesamt positiv aus, weil hier im protestantisch-kapitalistischen Kontext der USA eine „geradezu gegenkulturelle Wertbindung an die Idee sozialer Gerechtigkeit vorliegt, die die Bindung an den Gedanken der Subsidiarität, die Solidarität mit den Armen und die Verpflichtung des Staates, eine Garantie für soziale Gerechtigkeit zu geben, ins Zentrum rückt" (343). Gewünscht hätte man sich als deutscher Leser einen Forschungsüberblick über die divergierenden Positionen der amerikanischen Katholizismusforschung. Prozesse und Konflikte der internen Willensbildung im Katholizismus wären dann automatisch etwas schärfer hervorgetreten. Gleichwohl, wer einen kompetenten, dem Mainstream des amerikanischen Katholizismus nahe stehenden Überblick zur sozialpolitischen Rolle der Kirche im 20. Jahrhundert sucht, ist hier bestens aufgehoben.
Antonius Liedhegener (LI)
Dr., wiss. Ass., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena (www.uni-jena.de/svw/powi/sys/liedhege.html).
Rubrizierung: 2.64 | 2.262 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Antonius Liedhegener, Rezension zu: Frank Adloff: Im Dienste der Armen. Frankfurt a. M./New York: 2003, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/18735-im-dienste-der-armen_21736, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 21736 Rezension drucken