Der Staat als Mittel zum Zweck. Fichte über Freiheit, Recht und Gesetz
Mit Johann Gottlieb Fichte ist der Band einem Denker gewidmet, der der Politikwissenschaft eher wenig bekannt ist. Die disziplinäre Zusammensetzung der Autorenschaft des Buches mag dies belegen – es sind mit Ausnahme eines Juristen allesamt Philosophen, die sich mit der Staatslehre Fichtes auseinandersetzen. Wenn überhaupt, so ist von den Arbeiten Fichtes vor allem eine dem historisch interessierten Politikwissenschaftler bekannt: die „Reden an die deutsche Nation“. Dieses Zentraldokument des frühen deutschen Nationalismus hat eine Wirkungsgeschichte, die von der Berufung auf Fichte im akademischen Nationalismus des Kaiserreiches bis zur Inanspruchnahme des Philosophen im Nationalsozialismus reicht. Ursula Baumann ordnet allerdings in ihrem Beitrag den Nationalismus Fichtes in den größeren Zusammenhang der Verhältnisbestimmung von Staat und Volk ein. Sie betont, wie offen und voluntaristisch Fichtes Volksbegriff sei: „Das Adjektiv ‚deutsch’ […] ist ein Attribut freier Geister unabhängig von Sprache und Nation. Fichtes Volksbegriff ist reiner Demos, eine Kopfgeburt, der nichts Naturwüchsiges mehr anhaftet.“ (181) Die weiteren Beiträge erschließen die Staatslehre Fichtes in größerer Breite. Bernhard Jakl zeigt, wie sich Fichtes Idee vom Bürgervertrag von anderen vertragstheoretischen Begründungsversuchen absetzt. Durch die Unterscheidung zwischen dem Eigentums-, dem Schutz-, dem Vereinigungs- und dem Unterwerfungsvertrag gelangt Fichte zu einer reflexiven Lösung des Problems individueller und kollektiver Normbegründung. Äußerst kritisch setzt sich Claus Dierksmeier mit Fichtes Wirtschaftslehre auseinander. Ansatzpunkt der Kritik ist vor allem die ökonomische Wertlehre. Es zeigt sich, dass Fichte die Arbeiten der zeitgenössischen Ökonomie, man denke etwa an David Ricardo, „entweder übersieht oder aber vorsätzlich ignoriert.“ (123) So ist der gesamte Band keine Fichte-Hagiographie, sondern eine nüchterne Bestandsaufnahme einer Theorie des Staates als Mittel zum Zweck der Freiheitssicherung.