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Patrick Gensing

Terror von rechts. Die Nazi-Morde und das Versagen der Politik

Berlin: Rotbuch Verlag 2012; 236 S.; brosch., 14,95 €; ISBN 978-3-86789-163-9
„Stereotype, Vorurteile und Ressentiments gehören zu der deutschen und europäischen Geschichte – bis heute.“ (15) Schon auf rein sprachlicher Ebene wurde das deutlich, als – transportiert von der Boulevardpresse – die NSU-Mordserie auf einen „Döner-Mörder“ zurückgeführt wurde. Vollkommen zu Recht verweist Patrick Gensing angesichts dieser Begrifflichkeit darauf, dass inmitten der deutschen Gesellschaft eben nicht Döner, sondern Menschen ermordet worden sind. Mit der falschen Zuschreibung aber wird die ganze Unmenschlichkeit der Verbrechen – und damit vielleicht auch der klammheimlichen Freude, zumindest aber des flächendeckenden Wegsehens – erahnbar. Gensing beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit zwei Fragekomplexen. Der eine bezieht sich auf die Rekonstruktion der NSU-Morde und der gesellschaftlichen wie polizeilichen Umfeldbedingungen, aus denen heraus sie begangen werden konnten. Dabei wird unter anderem deutlich, dass rechtsextreme Gewalt eben kein ostdeutsches Provinzphänomen ist und dass zudem in der öffentlichen wie in der polizeilichen Wahrnehmung eine Übertragung der Strategien und Praktiken des Linksterrorismus (RAF) vorgenommen wurde und wird, die mit dem Selbstverständnis nationalsozialistisch denkender Terroristen nicht in Einklang zu bringen ist. Der zweite Fragekomplex widmet sich dem Problem des Umgangs mit einem zunehmend militanter werdenden Rechtsextremismus, allzumal dann, wenn dieser kein gesellschaftliches Randphänomen ist. Am Beispiel der momentan wieder virulenten Debatte über ein NPD-Verbot zeigt Gensing einerseits die Grenzen und damit das ganze Dilemma des Verbots auf, das rechtsextreme politische Betätigung nicht unterbinden könnte. Demgegenüber ließe sich die Zeit, in der heute über die NPD sowie über das Für und Wider des Verbots diskutiert wird, auch gewinnbringender nutzen, indem zum Beispiel all die latenten Rechtsextremismen angesprochen werden, die nicht zuletzt von solchen Publizisten wie Gabor Steingart („Das Ende der Normalität“, 2011) oder Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“, 2010) in die öffentliche Debatte eingestreut werden. Gensings Buch bietet für alle, die sich in wissenschaftlicher Perspektive wie auch jenseits der Wissenschaft für das Thema Rechtsextremismus in der deutschen Gegenwartsgesellschaft interessieren, eine gewinnbringende Lektüre.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.37 | 2.32 | 2.325 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Patrick Gensing: Terror von rechts. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/21768-terror-von-rechts_43063, veröffentlicht am 07.02.2013. Buch-Nr.: 43063 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken