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Alexander N. Jakowlew

Ein Jahrhundert der Gewalt in Sowjetrussland. Aus dem Russischen von Bernd Rullkötter

Berlin: Berlin Verlag 2004; 363 S.; geb., 24,90 €; ISBN 3-8270-0547-7
Jahrzehntelang diente Jakowlew der KPdSU, war für Ideologie und Propaganda zuständig. Nach einer vorsichtigen Anprangerung von Missständen wurde er 1973 als Botschafter nach Kanada „weggelobt“. Später beriet er Gorbatschow, stieg 1987 ins Politbüro auf und erwarb sich einen Ruf als „Vater der Perestroika“. Mit Stalinismus und Sozialismus hat Jakowlew inzwischen radikal gebrochen, er ist Leiter der Kommission zur Rehabilitierung der Opfer politischer Repressionen. Und diese Aufgabe hat seinen Blick auf das mörderische System des sowjetischen Sozialismus weiter geschärft: Er beschreibt in diesem Buch die Oktoberrevolution als eine gewalttätige Konterrevolution gegen die junge Demokratie in Russland. Die Bolschewiken hätten damit die Modernisierung des Landes und den Anschluss an die zivilisierte Welt des Westens verhindert. Jakowlew verdeutlicht anhand von Schicksalen unterdrückter und ermordeter Menschen das System des Terrors. Die ganze Grausamkeit wird dabei schon bei der ersten Gruppe von Opfern deutlich, die Jakowlew schildert: die Geiselnahme und Kriminalisierung von Minderjährigen. „Die Strafmaßnahmen gegen Kinder kennzeichnen den Tiefpunkt der Unmenschlichkeit unter dem bolschewistischen Faschismus.“ (69) Außerdem beschreibt er die Schicksale von Bauern, Wissenschaftlern, Juden, Sozialdemokraten und Volksgruppen wie der Tschetschenen. Deutlich wird in allen Fällen die Willkür, der Terror konnte jeden treffen. Überzeugend zeigt Jakowlew außerdem, dass nicht Stalin dieses „Konzentrationslager namens Sozialismus“ (57) erfand, sondern bereits Lenin. Die Zahl der Menschen, die in der UdSSR aus politischen Gründen ermordet wurden und in Lagern starben, beziffert der Autor auf 20 bis 25 Millionen. Damit sei nicht nur über Einzelschicksale entschieden worden: „Einst ein Land der Bauern, wandelte es sich zu einem Land der Lumpen, das heißt der groben und entwurzelten Menschen.“ (56) Der jahrzehntelange Terror habe tiefe Spuren in der politischen Kultur hinterlassen, meint Jakowlew, der für das heutige Russland eine „schleichende Restauration“ (335) des Bolschewismus feststellt. Ohne eine tief gehende Entbolschewisierung (wozu auch eine Lösung des Tschetschenien-Konflikts gehören würde) sei es aber undenkbar, dass Russland wieder einen Platz in der zivilisierten Welt einnimmt.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.622.252.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Alexander N. Jakowlew: Ein Jahrhundert der Gewalt in Sowjetrussland. Berlin: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/21776-ein-jahrhundert-der-gewalt-in-sowjetrussland_25643, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 25643 Rezension drucken