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Simone Weske

Europapolitik im Widerspruch. Die Kluft zwischen Regierenden und Regierten

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011; 311 S.; 39,95 €; ISBN 978-3-531-17794-6
Diss. München; Gutachter: W. Weidenfeld, Y. Surel. – Weske befasst sich mit dem Phänomen, dass die Bürger der EU dem europäischen Regieren in „zentralen Richtungsentscheidungen ihre Unterstützung versagen“ (15). Zur Erforschung der Bedingungen der Kluft zwischen Regierenden und Regierten in Europa wählt sie „Fälle, in denen sich den Bürgern keine Einspruchsmöglichkeit per Referendum bietet“ (16). Aus kommunikationstheoretischer Sicht widmet sie sich „nationalen Repräsentationsprozesse[n] in europapolitischen Fragen“ (15). Die Fallstudien zur Europäischen Währungsunion und zur Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei betreffen deshalb „repräsentationstheoretische Überlegungen“ (35) zum intergouvernementalen Regieren in der EU. Kommunikationsdefizite zwischen Repräsentanten und Repräsentierten ließen sich entweder durch „Responsivität“, die „Anpassung des Regierungshandelns an die Bevölkerungsmeinung“ (52), oder durch „Führung“, die „Anpassung der Bevölkerungsmeinung an das Regierungshandeln“ (54), beseitigen. Abschließend gelangt Weske zu dem Ergebnis, dass Responsivität die „unattraktivste Option“ sei, weil sie „den Handlungsraum der Regierenden maximal beschneidet“ (255). Depolitisierung, eine eingangs nicht bedachte dritte Handlungsalternative, biete den Regierenden „die meisten Vorteile: Gelingt es ihnen, eine unpopuläre Politik sowohl von der öffentlichen Agenda als auch aus dem politischen Wettbewerb zu verbannen, so bewahren sie ihren Handlungsspielraum ohne ihre Wiederwahl zu gefährden“ (255). Die Bevölkerungsmeinung politisch zu führen, sei wegen der risikoanfälligen Erhöhung der öffentlichen Wahrnehmung von Themen lediglich die zweitbeste Option. Diese Kommentierung der Ergebnisse zeugt von einer intelligenten kommunikationstheoretischen Beurteilung der Europapolitik, weist aber auf die Geringschätzung der Legitimitätstheorie hin: Weskes nationale Perspektive auf die Diskrepanzen zwischen Regierenden und Regierten ist zu kritisieren, weil das Demokratiedefizit der EU aus dem Zusammenspiel der intergouvernementalen mit den supranationalen Akteuren des Mehrebenensystems der EU erklärt werden muss. Nachdem das Europäische Parlament aufgewertet und im Ministerrat die Mehrheitsabstimmung eingeführt wurde, kann die mittelbare Repräsentation der Bevölkerungen über nationale Regierungen keine dominante legitimitätsstiftende Funktion mehr spielen.
Ulf Kemper (UK)
M. A., Politikwissenschaftler, Philosoph, wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaften, Universität Duisburg-Essen.
Rubrizierung: 3.4 | 3.5 | 3.7 | 2.22 | 2.24 | 2.61 | 2.331 | 2.333 Empfohlene Zitierweise: Ulf Kemper, Rezension zu: Simone Weske: Europapolitik im Widerspruch. Wiesbaden: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/21934-europapolitik-im-widerspruch_39882, veröffentlicht am 17.03.2011. Buch-Nr.: 39882 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken