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Sebastian Nawrat

Agenda 2010 – ein Überraschungscoup? Kontinuität und Wandel in den wirtschafts- und sozialpolitischen Programmdebatten der SPD seit 1982

Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger 2012 (Politik- und Gesellschaftsgeschichte 91); 320 S.; hardc., 32, €; ISBN 978-3-8012-4207-7
Diss. Münster; Begutachtung: F. Wielenga, K. Schubert. – Anhand der wirtschafts- und sozialpolitischen Programmdebatten der SPD untersucht Sebastian Nawrat die Frage, ob die Partei von der Agenda 2010 der Regierung Schröder überrascht wurde und das „Opfer eines abrupten Politikwechsels“ (12) war oder ob es vorbereitende Debatten gab, die auf einen Politikwechsel hindeuteten. Der Verfasser analysiert die programmatischen Aussagen sowohl zu wirtschafts- und finanzpolitischen als auch zu sozial- und arbeitsmarktpolitischen Fragen in drei Epochen: Zwischen 1982 und 1989/90 kennzeichnete die Auffassung von ausgeprägter staatlicher Steuerung die Programmdebatten. Dieser Steuerungsanspruch, den die Partei vertrat, wurde jedoch durch den Einbezug ökologischer Faktoren transformiert, sodass die SPD letztlich einen „grünen Keynes“ (70) verkörperte. Im Zeitabschnitt von 1989/90 bis 2003 fand bereits eine Abkehr von bis dato durchaus nachfragepolitisch geprägter Politik statt und Kernbegriffe der neuen Programmatik wie Flexibilisierung und Privatisierung stellten bereits einen Wegweiser für die spätere Agenda 2010 dar. In der Phase seit 2003 erfolgte mit den Hartz-Reformen schließlich die Umsetzung der zuvor vorbereiteten Programmatik. Letztlich zeigt Nawrat, dass die SPD bereits in den 1990er-Jahren begann, eine angebotspolitische Politik zu formulieren. Dieser Paradigmenwechsel wurde aber keinesfalls heimlich vollzogen, sondern vielmehr „erkannt und kritisch begleitet, jedoch im Ergebnis toleriert“ (227). Neben dem ausführlichen deskriptiven Teil der Arbeit gelingt es dem Verfasser in äußerst ansprechender Weise, die Programmdebatten in einen politischen (zeitweise sogar internationalen) Kontext einzuordnen und damit verbunden eine aufschlussreiche Analyse der Gründe für den programmatischen Wandel zu zeichnen. Durch die gelungene Herausarbeitung der „marktliberalen Kontinuitätslinien sozialdemokratischer Programmatik“ (224) zeigt Nawrat letztlich, dass die Agenda 2010 eben keinesfalls unreflektiert als Überraschungscoup klassifiziert werden kann.
Julia Kiesow (KIE)
M. A., Politikwissenschaftlerin, Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft, Universität Gießen
Rubrizierung: 2.331 | 2.342 Empfohlene Zitierweise: Julia Kiesow, Rezension zu: Sebastian Nawrat: Agenda 2010 – ein Überraschungscoup? Bonn: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/21962-agenda-2010--ein-ueberraschungscoup_42575, veröffentlicht am 13.12.2012. Buch-Nr.: 42575 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken