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David Fromkin

Europas letzter Sommer. Die scheinbar friedlichen Wochen vor dem Ersten Weltkrieg. Aus dem Amerikanischen von Hans Freundl und Norbert Juraschitz

München: Karl Blessing Verlag 2005; 415 S.; geb., 24,- €; ISBN 3-89667-183-9
Weshalb zogen 1914 Menschen in den Krieg und starben, nur weil zwei Personen, die kaum jemand kannte – der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ehefrau Sophie – in Sarajevo ermordet wurden? Fromkin, Professor für Geschichte in Boston, kommt in seiner beeindruckenden Analyse, die an die Arbeiten von Fritz Fischer anknüpft und diese erweitert, zu einer schlüssigen Antwort: Der deutschen Heeresleitung unter Helmuth von Moltke sei es in einem „beispiellose[n] Akt politischen Hijackings“ (358) gelungen, das Attentat zum Vorwand eines schon zuvor beabsichtigten Präventivkriegs gegen Russland und Frankreich zu machen. Es sei ihr Ziel gewesen, Deutschlands Vorherrschaft in Kontinentaleuropa zu sichern. Was dieser Krieg mit dem Attentat zu tun hatte? Unmittelbar nichts, denn wie Fromkin zeigt, wurden im Juli 1914 zwei Kriege und nicht einer begonnen: Österreich-Ungarn habe das Attentat als Vorwand für einen gewollten Krieg gegen Serbien genutzt. Nur in dessen Zerschlagung (eines potenziellen Vertreters aller Slawen) sei die Chance gesehen worden, das eigene Reich zu erhalten. Um diesen Krieg gewinnen zu können, versicherte man sich der deutschen Unterstützung. Fromkin zeigt, dass diese Unterstützung – nur verbal! - erst dann bedingungslos gewährt wurde, als das deutsche Militär dem eher dem Frieden zugeneigten Kaiser die Entscheidungsgewalt de facto abnahm. Die Heeresleitung habe eine Mobilisierung Russlands (die nicht einmal abgewartet wurde) zugunsten Serbiens genutzt, um einen Angriff zu rechtfertigen. Gerechnet worden sei dabei – in Verkennung der militärischen Möglichkeiten und der Absichten der Doppelmonarchie - auf die Unterstützung Österreichs. Der Krieg sei nur deshalb scheinbar überraschend ausgebrochen, so ein Fazit, weil lediglich „eine Hand voll Leute in einer Hand voll Staaten“ (352), unbeobachtet von der Öffentlichkeit, mit der Frage von Krieg und Frieden zu tun gehabt habe. Die zentrale Verantwortung und Schuld sieht der Autor bei Moltke. Er habe für Deutschland „den Weltkrieg begonnen, und zwar mit voller Absicht“ (353).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.1 | 2.311 | 2.4 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: David Fromkin: Europas letzter Sommer. München: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/23764-europas-letzter-sommer_27314, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 27314 Rezension drucken