Skip to main content
Leon Goldensohn

Die Nürnberger Interviews. Gespräche mit Angeklagten und Zeugen. Hrsg. und eingeleitet von Robert Gellately. Mit einem Vorwort von Wolfgang Benz. Aus dem Amerikanischen von Sonja Schuhmacher, Rita Seuß, Maja Ueberle-Pfaff und Christoph Trunk

Düsseldorf: Artemis & Winkler 2005; 458 S.; geb., 29,90 €; ISBN 3-538-07217-5
Während der Nürnberger Prozesse führte der amerikanische Arzt und Gefängnispsychiater Leon Goldensohn mit den Angeklagten und Zeugen der Prozesse Interviews durch. Während der Unterhaltungen fertigte er Gesprächsnotizen an, die er später veröffentlichen wollte. Durch seinen frühen Tod ist diese Publikation dann nicht zustande gekommen. Sein Bruder Eli Goldensohn, der auf verschlungenen Wegen an die Aufzeichnungen gelangte, beauftragte den Historiker Robert Gellately mit der Bearbeitung und Herausgabe der Interviews. Nachdem das Buch im letzten Jahr in den USA erschien, liegt nun die deutsche Übersetzung vor. Die herausragende Bedeutung dieser wissenschaftlich sorgfältigen Edition würdigt Wolfgang Benz in seinem Vorwort. Die Charakterstudien Goldensohns liefern einen Einblick vor allem in die Rechtfertigungsstrategien der Angeklagten, die sich als Befehlsempfänger, als unschuldige Ahnungslose präsentieren. Hannah Arendts Diktum von der Banalität des Bösen findet sich in „monströser Dimension“ (8) bestätigt. Rudolf Höß, der Lagerkommandant von Auschwitz, der in Nürnberg als Zeuge anwesend war, gibt etwa zu Protokoll: „Ich dachte, ich handle richtig, ich gehorchte Befehlen, und jetzt sehe ich natürlich, dass es unnötig und falsch war. Aber ich weiß nicht, was Sie damit meinen, ob mich das aus dem Gleichgewicht bringt, weil ich persönlich niemanden ermordet habe. Ich war lediglich der Leiter des Vernichtungsprogramms in Auschwitz. Es war Hitler, der es durch Himmler angeordnet hat, und es war Eichmann, der mir die Befehle hinsichtlich der Transporte erteilte.“ (361) Ganz ähnlich argumentiert Karl Dönitz: „Der Aberwitz dieses Prozesses liegt darin, dass die zwei Männer fehlen, die an allem schuld sind, was verbrecherisch war, nämlich Hitler und Himmler.“ (61) Goldensohns Aufzeichnungen sind zweifelsohne wichtige Quellen, die Auskunft über das Wesen des Nationalsozialismus geben. Die Befragten erzählen freimütig über die Motive ihres Engagements für das „Dritte Reich“. Trotz (oder wegen?) der detaillierten Einblicke in die Alltäglichkeit der nationalsozialistischen Verbrechen erweist sich das Buch außerdem als fesselnde Lektüre.
Sebastian Lasch (LA)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.312 | 4.1 Empfohlene Zitierweise: Sebastian Lasch, Rezension zu: Leon Goldensohn: Die Nürnberger Interviews. Düsseldorf: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/24044-die-nuernberger-interviews_27673, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 27673 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken