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Simon Sebag Montefiore

Stalin. Am Hof des roten Zaren. Aus dem Englischen von Hans Günter Holl

Frankfurt a. M.: S. Fischer 2005; 874 S.; geb., 24,90 €; ISBN 3-10-050607-3
Man lebte bescheiden im Kreml Anfang der Dreißigerjahre, selbst Stalin litt gelegentlich unter Geldnot, ab und zu feierte man bei deftigem russischen Essen oder hatte ein kleines Techtelmechtel. Der britische Historiker und Publizist Sebag Montefiore lässt seine Leser gleichsam mit Stalin unter ein Dach ziehen, so genau beschreibt er auf der Grundlage von umfangreichen Recherchen und Interviews von Kindern der damaligen Führung das Privatleben des Diktators und dessen Familie. Charakterisiert werden auch die wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Sowjetunion, mit allen Schwächen. Sebag Montefiore erinnert durchgängig daran, dass die privaten Geschehnisse vor dem Hintergrund des unmenschlichen Terrors stattfanden, mit dem Stalin die Sowjetunion überzog. Am Beispiel der mutwillig gegen die Kulaken initiierten Hungersnot zeigt sich zwar, dass nicht alle Mitglieder der Führung immer einer Meinung waren, dies hatte aber keine Folgen. Stalin wird schlüssig wie aufschlussreich als kaum beeinflussbar porträtiert, er sei „emotional tief in sein großes Drama der revolutionären Sache verstrickt“ gewesen. „Persönliche Regungen galten nur als Bagatellen, verglichen mit der Rettung der Menschheit durch den Marxismus-Leninismus“ (24). Sebag Montefiore analysiert diese von der Ideologie geprägte und gleichzeitig völlig willkürliche Politik als Ausdruck einer quasireligiösen, geradezu fundamentalistischen Einstellung. Selbst von hohen Funktionären, die Stalin nahe standen, seien Entscheidungen wie die grundlose Verhaftung der Ehefrau oder gar die eigene Verurteilung in einem Schauprozess wie ein Gottesurteil angenommen worden. Dieser sektenhaften Ausformung des Regimes geht offensichtlich die Persönlichkeitsbildung Stalins voran: „In einem armen, von Priestern heimgesuchten Haushalt aufgewachsen, durchlief er die Schule der Gewalt, Vernachlässigung und Demütigung, nahm außerdem die örtlichen Traditionen des religiösen Dogmatismus, der Blutfehden und des romantischen Brigantentums in sich auf“ (37). An den Marxismus als Allheilmittel habe er fest geglaubt.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.12.622.242.25 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Simon Sebag Montefiore: Stalin. Frankfurt a. M.: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/24401-stalin_28143, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 28143 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken