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Wilfried Reckert

Kommunismus-Erfahrung. Zwanzig Jahre als DKP-Funktionär. Analytische Reflexionen

Berlin: Lit 2006 (Politikwissenschaft); 162 S.; brosch., 14,90 €; ISBN 978-3-8258-9347-7
War er ein Idiot? Der promovierte Pädagoge Reckert stellt sich die Frage angesichts seiner eigenen politischen Biografie, die ihm in den siebziger Jahren ein Berufsverbot als Lehrer bescherte: 1969 war Reckert in die DKP eingetreten, 1973 zum Internationalen Sekretär im SDAJ-Bundesvorstand berufen worden, leitete dann einen SDAJ-Lehrgang auf der Komsomolhochschule in Moskau, wurde in den Bezirksvorstand Rheinland-Pfalz der DKP gewählt – und lernte 1986 auf einem Jahreslehrgang auf der Parteihochschule in der DDR diese als „schreckliches Gebilde“ (12) näher kennen. 1989 leitete er die Selbstauflösung der DKP Mainz ein und trat Anfang 1990 aus der Partei aus – erst als alle Hoffnung verflogen war, möchte man anfügen. In seinem Buch legt Reckert unter Zuhilfenahme verschiedener Theorien und Erklärungsmodelle systematisch und ohne Rücksicht auf sich selbst Rechenschaft über sein Leben als DKP-Funktionär ab, vor allem hinsichtlich der Unfreiheit des Denkens. Es habe nur wenige Versuche gegeben, in der DKP eine unabhängige Diskussion zu führen. Statt dessen habe er die Regime Breschnews und Honeckers verteidigt und wider besseres Wissen geleugnet, dass die Partei aus der DDR Zuwendungen erhalten habe. Auf die Frage, warum er überhaupt den real existierenden Sozialismus verteidigt habe, gibt Reckert eine dreiteilige Antwort: Überzeugt habe ihn das Engagement von Zeitzeugen, die unter den Nationalsozialisten gelitten hatten. Die Verbindung zur Macht der kommunistischen Staaten habe überdies „uns selbst mehr Bedeutung“ (100) verliehen. Und der dritte Grund führe in die Niederungen der schnöden Korruption, schließlich sei man in den kommunistischen Ländern wie ein Staatsgast behandelt worden. Mit seiner Selbstanklage gibt Reckert einen Blick frei auf die Mechanismen, denen sich Menschen einer vermeintlich besseren Sache wegen zu unterwerfen bereit sind und die zur Deformation des Denkens führen. Das Buch selbst steht in der schauderhaften kommunistischen Tradition der Selbstanklage. Mit dem einzigen Unterschied, dass diese freiwillig geschieht.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.331 | 2.313 | 2.3 | 2.37 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Wilfried Reckert: Kommunismus-Erfahrung. Berlin: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/25939-kommunismus-erfahrung_30161, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 30161 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken