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Hans-Joachim Lenger / Georg Christoph Tholen (Hrsg.)

Mnema. Derrida zum Andenken

Bielefeld: transcript Verlag 2007 (Edition Moderne Postmoderne); 258 S.; kart., 25,80 €; ISBN 978-3-89942-510-9
Ein Baseler Workshop vom Juli 2005 war Anlass für diese Veröffentlichung. Texte etwa von Avital Ronell oder auch Samuel Weber wurden aber andernorts zuerst vorgetragen. Andenken und Trauerarbeit, zwei zentrale Begriffe im Werk Derridas, wurden ein knappes Jahr nach seinem Tod hier einer Diskussion unterzogen, die darin Derrida selbst gedachte. Anton Bierl legt eine Begriffsanalyse von Mnema aus der Sicht eines Alt-Philologen vor. Er ist damit einer der wenigen Autoren des Bandes, die Derridas Denken herausfordern, denn in vielen Beiträgen geht es um ein Erschließen von Derridas Philosophie, das wenig Ambitionen zeigt, über den Vater der Dekonstruktion hinauszublicken. Ebenfalls über den Derrida'schen Text hinaus geht Oliver Marchart. In seinem makellos geschriebenen Vortrag untersucht er die tendenziell antisemitische Lektüre, die Derridas Werk etwa vonseiten der katholischen Kirche durch das „Doppelbild des zugleich ‚irrational Mystischen’ und ‚übertrieben Rationalen“ (140) zuteil wird. Marchart entkräftet die Kritik, indem er zunächst Derrida selbst zu Wort kommen und seinen Rationalitätsbegriff erläutern lässt. Anschließend wendet er sich in einer ebenso überraschenden wie gelungenen Wendung der frühen Aufklärung des 17. Jahrhunderts zu. So gelingt es ihm, der historischen Aufklärung gegen Derridas Kritiker Kontur zu geben, am Beispiel Spinozas aber zugleich den Antisemitismus zu entlarven, der die Kritik an der Aufklärung seit jeher begleitet. Mit der sogenannten moderaten Aufklärung, die etwa im Gespräch zwischen Ratzinger und Habermas beschworen wurde, sei Derridas "kommende Aufklärung" nicht kompatibel. Ihre „unbedingte Vernunft“ (152), so zeigt Marchart in aller Deutlichkeit, ist aber wider ihre Verdammung als Irrationalität kein Kind der Gegen-Aufklärung, sondern steht trotz aller Radikalität im Geist der Aufklärung selbst. Der lesenswerte Band wird von Beiträgen abgerundet, die Derridas Einfluss auf Literatur und modernen Tanz beleuchten.
Stefan Militzer (SM)
Dr., Publizist, Frankfurt a. M.
Rubrizierung: 5.46 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Stefan Militzer, Rezension zu: Hans-Joachim Lenger / Georg Christoph Tholen (Hrsg.): Mnema. Bielefeld: 2007, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/28692-mnema_33832, veröffentlicht am 07.04.2008. Buch-Nr.: 33832 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken