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Carolin Emcke

Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF. Mit Beiträgen von Winfried Hassemer und Wolfgang Kraushaar

Frankfurt a. M.: S. Fischer 2008; 190 S.; geb., 16,90 €; ISBN 978-3-10-017017-0
Die Journalistin Emcke ist ein vom Terrorismus unmittelbar betroffener Mensch. Der 1989 ermordete Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen war ihr Patenonkel. In ihrem Essay darüber, wie die Erfahrungen mit dem Terrorismus der RAF doch noch von den Angehörigen der Opfer und von der politischen Kultur der Bundesrepublik be- und verarbeitet werden könnten, wählt sie daher einen persönlichen Zugang zum Thema. Ihr Buch, für das sie den Theodor-Wolff-Preis erhalten hat, liest sich sehr intensiv und man versteht zumindest die Motive, aus denen heraus Emcke ihre Argumentation aufnimmt. Im Kern geht es ihr um die Aufklärung der Mordanschläge, also um die Frage nach den Tätern. Für sie ist eine Verarbeitung des Verlustes eines geliebten Menschen nicht vorstellbar ohne das Wissen, wer es getan hat – und ob der Täter Zweifel gehabt hat, ob ihm bewusst war, dass er nicht nur den Repräsentanten eines Systems, sondern einen Menschen ermordete. Emcke stellt sich daher ein Forum vor, in dem die Täter von damals frei erzählen könnten – ohne strafrechtliche Folgen für sich und diejenigen, die erstmals belastet würden. Nach Ansicht der Autorin wäre dies eine andere Definition der Grenzen der Rechtsstaatlichkeit. Ihr Vorschlag erinnert an die Wahrheitskommissionen Südafrikas. Allerdings: Es gilt nicht zwei Bevölkerungsgruppen auszusöhnen. Bei der RAF handelte es sich „nur“ um eine sehr kleine Gruppe, die versuchte, ein Land zu terrorisieren. Ihr Ziel war es, die Normen des Rechtsstaates zu brechen, dieser sollte dazu provoziert werden, seine Gesetze nicht zu achten. Wäre es nicht ein später Sieg für die Täter, wenn für sie die Rechtsstaatlichkeit umgangen würde? Auch Hassemer diskutiert in seinem Beitrag rechtsstaatliche Bedenken. Kraushaar weist daraufhin, dass im Rechtsstaat der Angeklagte das Recht hat zu schweigen. Zudem sei die RAF in erster Linie „kein politisches, sondern ein identitätspolitisches Projekt gewesen“ (185). Niemand habe die Terroristen bisher am Reden gehindert – sie hätten sich von der Identitätshülse der RAF nicht gelöst. Aufklärung sei nicht zu erwarten.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 2.37 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Carolin Emcke: Stumme Gewalt. Frankfurt a. M.: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/29005-stumme-gewalt_34249, veröffentlicht am 23.09.2008. Buch-Nr.: 34249 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken