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Karsten Fischer

Die Zukunft einer Provokation. Religion im liberalen Staat

Berlin: Berlin University Press 2009; 272 S.; geb., 39,90 €; ISBN 978-3-940432-65-0
Angesichts kontinuierlicher Migrationsbewegungen scheint in den modernen westlichen Gesellschaften das Verhältnis zwischen Politik und Religion jene Selbstverständlichkeit verloren zu haben, die über lange Jahre die Zuständigkeiten der jeweiligen Sphären regelte. Die Zunahme einschlägiger Konflikte – militant ausgetragen oder nicht – signalisiert Tendenzen einer Repolitisierung religiöser Strömungen. Vor diesem Hintergrund entfaltet Fischer in erster Linie zwei Thesen. Erstens: Die Entstehung des modernen Staates als Vorgang der Säkularisation zu beschreiben, dürfe nicht mit antireligiösen Intentionen unterlegt werden. Weder der neuzeitliche Säkularisationsprozess noch das in seinem Rahmen hervorgebrachte rechtsstaatliche Demokratisierungspotenzial könne als Ergebnis eines europäischen Sonderweges relativiert werden. Deshalb bedeute – zweitens – der Säkularisationsprozess Freiheitsgewinne für beide Seiten, für die Politik ebenso wie für die Religion. Fischer entwickelt seine Argumentation sowohl ideengeschichtlich als auch systematisch. Zum einen folgt er – dabei stets Böckenfördes Satz reflektierend, der moderne Staat sei an normative Voraussetzungen gebunden, die er nicht selbst erzeugen könne – der Genese des modernen Souveränitätskonzepts von Bodin bis Schmitt. Zum anderen – und das macht den spezifischen Reiz der Studie aus – verknüpft er diese ideengeschichtliche Perspektive konzeptionell mit dem funktionalistischen Ansatz Luhmanns. Beide Argumentationslinien konvergieren in der Deutung, dass der heutige liberale Staat eine Gesellschaft voraussetzt und zugleich politisch wie rechtlich absichert, die auf der Autonomie gleichrangiger Funktionssysteme beruht. Diese institutionelle Balance wird indes gefährdet durch Versuche, die paradoxen Beziehungen zwischen Religion und Politik durch eine Entdifferenzierung der funktionsspezifischen Unterscheidungen aufzulösen – seien es Ansätze einer totalitären politischen Theologie Schmitt’scher Provenienz, seien es fundamentalistische Strategien einer kulturkritischen Identitätspolitik.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.1 | 5.32 | 5.41 | 5.42 | 5.43 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Karsten Fischer: Die Zukunft einer Provokation. Berlin: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/31396-die-zukunft-einer-provokation_37368, veröffentlicht am 10.02.2010. Buch-Nr.: 37368 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken