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Beatrice von Weizsäcker

Die Unvollendete. Deutschland zwischen Einheit und Zweiheit

Bergisch Gladbach: Gustav Lübbe Verlag 2010; 288 S.; geb., 16,99 €; ISBN 978-3-7857-2417-0
„Es war eine Teilung, die vielen immer noch gegenwärtig war, eine Teilung, die sich mehr in den Köpfen und Herzen vollzog“ (12). Die Autorin vergleicht die Situation des wiedervereinigten Deutschlands mit der des im amerikanischen Bürgerkrieg geteilten Virginias. Auch nach fünf Generationen nahm man dort regen Anteil an der deutschen Wiedervereinigung, erkannte Parallelitäten eines schwierigen und langen Prozesses des Zusammenwachsens. Nach zwanzig Jahren sei in Deutschland nicht das wirtschaftliche Ungleichgewicht das Problem, sondern die Stimmung. Von Weizsäcker zitiert die bekannten Studien über die hartnäckigen Vorurteile zwischen Ost und West. Sie lenkt den Blick auf die politische Stimmungslage und somit auf einen Aspekt, der in der Erzählung von der Deutschen Einheit als Erfolgsgeschichte gern übergangen wird. „Nicht alle hatten die Einheit gewollt, als sie für Freiheit demonstrierten“ (45), betont die Autorin. Und viele jener, die sie wollten, haben sie sich anders gewünscht. Die Bürgerrechtsbewegung sei mit dem Wahlsieg Helmut Kohls 1990 ebenso marginalisiert worden wie die gesamte DDR-Kunst. Die Einheit hätte ganz anders umgesetzt werden können, liest man aus nahezu jeder Zeile heraus. Im Artikel 146 des Grundgesetzes verkörpere sich „das schlechte Gewissen“ (58) der politischen Klasse. Denn von Anfang an, führt die Autorin aus, stand dahinter der Gedanke, „die Vereinigung Deutschlands nicht nur über einen Beitritt, sondern auch über eine Volksabstimmung zu ermöglichen“ (59). In diesem Kontext erinnert sie auch an den Verfassungsentwurf des Runden Tisches der DDR vom April 1990, „ein Werk mit neuen Ansätzen und bürgerschaftlichem Selbstbewusstsein, mit einer Stärkung der parlamentarischen Opposition […] und mit plebiszitären Elementen“ (62). Von Weizsäcker kritisiert zudem die andauernden Vergleiche des SED-Regimes mit der Nazi-Zeit und plädiert dafür, „auszuhalten“, dass es „kein Richtig oder Falsch gibt, sondern beides“ (269). In diesem Sinne wünscht sie sich eine neue Normalität, wie sie Matthias Platzeck in Brandenburg mit der rot-roten Koalition befördere.
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.3 | 2.315 | 2.35 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Beatrice von Weizsäcker: Die Unvollendete. Bergisch Gladbach: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32911-die-unvollendete_39312, veröffentlicht am 11.01.2011. Buch-Nr.: 39312 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken