Skip to main content
Hans Rübesame (Hrsg.)

Antrag auf Demonstration. Die Protestversammlung im Deutschen Theater am 15. Oktober 1989

Berlin: Ch. Links Verlag 2010; 155 S.; brosch., 29,90 €; ISBN 978-3-86153-609-3
Seit dem 1. Juli 1989 gebe es „neue Rechtsvorschriften, und ich verstehe eigentlich nicht, dass sich keiner bemüht, mal diesen Rechtsweg zu gehen“ (63) – bei diesem Tipp des Anwalts Gregor Gysi fällt einem unweigerlich das vielzitierte Diktum Lenins ein, dass die Deutschen, wollten sie einen Bahnhof stürmen, erst eine Bahnsteigkarte kaufen würden. Und Gysi legte den Menschen, die sich im Oktober 1989 im Deutschen Theater in Ost-Berlin trafen und auf Anregung des Neuen Forums überlegten, wie man am besten eine Demonstration in die Wege leitet, tatsächlich eine legale Option des Protestes nahe. Mit diesem auf einem Tonbandmitschnitt basierenden Protokoll der Versammlung von über 600 Schauspielern und Mitarbeitern verschiedener Theater, Journalisten und Funktionären wird zwar ein wichtiges Dokument der Friedlichen Revolution veröffentlicht – nach dieser Versammlung bildete sich eine Gruppe, die die große Demonstration und Kundgebung auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 organisierte. Dennoch zeigt sich deutlich, wie verhalten der revolutionäre Schwung war und wie eng der Rahmen, in dem gedacht wurde. Nur Heiner Müller bekannte freimütig: „Ich habe kein Konzept“ (93). Ansonsten schien der Grundtenor eindeutig: Es „geht um Maßnahmen von revolutionären Charakter, ein konservatives Kontinuum zu beenden und einen Schritt nach vorn in der Entwicklung des Sozialismus zu machen“ (121), sagte unwidersprochen gegen Ende der Veranstaltung Henning Schaller. So aufschlussreich das Herantasten in dieser Versammlung an die Veränderungen, die man einfordern wollte, ist und so typisch deutsch es auch zu sein scheint, Vertreter des Regimes ungehindert reden zu lassen – am interessantesten lesen sich die Redebeiträge Gysis, der als einziger den Eindruck vermittelte, den Durchblick zu haben. Tatsächlich wurde die Demonstration entsprechend seiner Hinweise angemeldet und genehmigt. Rübesame, der in einer ausführlichen Einleitung den Kontext dieser Versammlung erläutert, erinnert mit dieser Veröffentlichung daran, dass die Kirchen und die Theater des Landes – „zwei Institutionen, die sonst wenig miteinander gemein haben“ – im Herbst 1989 zu „Kristallisationspunkten des Aufbruchswillen“ (15) geworden waren und ihre Räume einer unzensierten Öffentlichkeit öffneten.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Hans Rübesame (Hrsg.): Antrag auf Demonstration. Berlin: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32915-antrag-auf-demonstration_39316, veröffentlicht am 22.12.2010. Buch-Nr.: 39316 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken