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Tim B. Müller

Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg

Hamburg: Hamburger Edition 2010; 736 S.; 35,- €; ISBN 978-3-86854-222-6
Müller schreibt eine Intellektuellengeschichte des Kalten Krieges aus einer strikt historisierenden Perspektive. Erst durch diese Konstruktion einer epistemischen Intellektuellengemeinschaft scheint eine Annäherung an die Komplexität des politischen Denkens im Kalten Krieg möglich. Zu dieser Intellektuellengruppe gehören neben Marcuse, der als Bindeglied zwischen allen installiert wird, u. a. Neumann, Kirchheimer, Gurland, Gilbert, Holborn und Hughes. Das Wirken der zum Teil aus Deutschland emigrierten und innerhalb der USA sich neu verwurzelnden Intellektuellen wird von Müller anhand von drei Ebenen entwickelt. Das erste Plateau bilden ihre Deutschlandanalysen und die beginnenden Kommunismusforschungen innerhalb des amerikanischen Kriegsgeheimdienstes OSS (Office of Strategic Services) und dem State Department. Diese Phase formte – so die These – ihr Denken erst aus. Ihre gegen die Totalitarismustheorie sich wendende und ideologiekritische Wiederannäherung an die Geschichte politischer Ideen mit dem Ziel der Erforschung des sowjetischen Gegners wird mit Unterstützung zahlreicher Stiftungsgelder, u. a. der Rockefeller‑Foundation, betrieben. Diese Stiftungsverwurzelung bildet die zweite Ebene. Neben der Marxismus‑ und Sowjetforschung übt der von Neumann als „political scholar“ beschriebene Intellektuelle Kritik an der politischen und sozialen Entwicklung innerhalb der USA und Westeuropas. Diese ist für Müller die dritte – als Hügellandschaft zu charakterisierende – Ebene. Das von Marcuse in den Büchern „Soviet Marxism“, „Eros and Civilization“ bis hin zu „One‑Dimensional‑Man“ verfolgte Denkmuster mündet – so wird es im abschließenden Hauptkapitel beschrieben – in dessen Neujustierung vor dem Hintergrund der Ereignisse in den 60er‑ und 70er Jahren. Müller gelingt die Zeichnung eines Denkfeldes Kalter Krieg, dessen Protagonisten trotz aller Entwurzelungen des 20. Jahrhunderts nicht bei der politischen Analyse stehen blieben, sondern sich in verschiedenen Systemen des politischen Denkens bewegten – wobei angesichts ihrer Biografien auch ein therapeutisches Interesse nicht abzuweisen ist.
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Rubrizierung: 4.1 Empfohlene Zitierweise: Ellen Thümmler, Rezension zu: Tim B. Müller: Krieger und Gelehrte. Hamburg: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33025-krieger-und-gelehrte_39452, veröffentlicht am 15.12.2010. Buch-Nr.: 39452 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken