Diss. Bern; Begutachtung: L. Meyer, L. Heidbrink. – Tillmann versteht seine Arbeit als Annäherung an den Begriff der historischen Verantwortung – dieser spielt bislang vor allem in Politik und Medien eine Rolle, in den Sozialwissenschaften kommt ihm aber eher eine schwammige Definition zu. Historische Verantwortung ist zwischen einem Verständnis der Geschichte als statischer, abgeschlossener Block einerseits und der Geschichte als unabgeschlossen und offen andererseits angesiedelt; es ist die Verantwortung der Gegenwart mit Blick auf die Vergangenheit und für die Zukunft. Verantwortung bezieht sich also nicht in erster Linie auf das Begleichen einer begangenen Schuld, sondern erhält Rechtfertigung vor allem durch ihre Rolle für die Gegenwart, für das Selbstverständnis und die Identität von Mensch und Geschichte. Unter diesen Voraussetzungen entwirft und diskutiert die Autorin vier unterschiedliche Modelle, die den Begriff der historischen Verantwortung am Beispiel des Nationalsozialismus aus unterschiedlichen Perspektiven (Opfer, Täter/Beteiligte, Beobachter/Sozialwissenschaften sowie eine allgemeine, humane Perspektive) beleuchten. Sie zeigt das notwendige Zusammenspiel und Ineinandergreifen dieser Perspektiven auf und liefert somit nicht nur eine stärkere begriffliche Klärung für die sozialwissenschaftliche Forschung, sondern auch Anreize für ein differenzierteres Nachdenken in Politik und Gesellschaft über die Funktion der eigenen Vergangenheit.