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Jutta Bakonyi

Land ohne Staat. Wirtschaft und Gesellschaft im Krieg am Beispiel Somalias

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2011 (Mikropolitik der Gewalt 5); 396 S.; 39,90 €; ISBN 978-3-593-39528-9
Diss. Hamburg, Begutachtung: C. Jakobeit, V. Matthies. – Während sich die westliche, medial vermittelte Wahrnehmung Somalias auf einen von Piraten bevölkerten Küstenstreifen mitsamt seinem Hinterland am Horn von Afrika beschränkt, dem als „gescheiterter Staat“ spätestens seit den grausamen Fernsehbildern der geschändeten Leichen von US-Soldaten in Mogadischu etwas Archaisches anhaftet, entwirft Jutta Bakonyi ein gänzlich anders akzentuiertes Bild. Aus einer methodologischen Verankerung in der verstehenden Soziologie stellt sie sich – mit Blick auf dieses unserer Vorstellungswelt so entrückte Somalia – die Frage, „was geschieht, wenn der Staat fehlt“ (10)? Im Unterschied nämlich zum Konzept des Failed State, das trotz de facto mangelhafter Ausprägung staatlicher Strukturen dennoch die (westliche) Vorstellung von Staatlichkeit als Analysekategorie beibehält, wendet sie sich den genuin nicht-staatlichen Stabilisierungsfaktoren von Gesellschaft zu. Angesichts ihrer theoretischen Positionierung im Rahmen der Theorie der Weltgesellschaft, die Krieg dezidiert als „Modus der Gesellschaftung“ (12) beschreibt, erfährt das Zusammenspiel von Staat, Markt und Gesellschaft, noch dazu angesichts einer permanenten, mal mehr, mal weniger latenten Kriegssituation, eine gänzlich neue Ausdeutung. Denn es gelingt Bakonyi nicht nur auf beeindruckende Art und Weise zu verdeutlichen, dass der „Staat nicht selbstverständlich“ (10) ist. Vielmehr kann sie – auch durch den Rückgriff auf zahlreiche Interviews aus dem Zeitraum von 2002 bis 2006, die sie in Somalia hat führen können – sehr plausibel machen, dass klanbasierte Strukturen an die Stelle des Staates treten – und das trotz mannigfacher Machtverschiebungen und Konflikte auf eine in langfristiger Sicht sehr nachhaltige Art. Der Staat erweist sich so auf eine eigentümliche Weise hinsichtlich der Generierung von Stabilität als obsolet. Vor diesem Hintergrund – so die Quintessenz der Studie – läuft dann auch die Debatte über den Failed State ins Leere, vielmehr wäre über eine gelungene oder weniger gelungene Form von Vergesellschaftung zu diskutieren, die jeweils die konkreten Umstände ihrer Realisierung wird mit bedenken müssen.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.67 | 2.21 | 2.22 | 2.25 | 4.41 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Jutta Bakonyi: Land ohne Staat. Frankfurt a. M./New York: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34363-land-ohne-staat_41254, veröffentlicht am 28.06.2012. Buch-Nr.: 41254 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken