Lateinamerika galt in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit als politische Krisenregion par excellence. Doch seit etwa zehn Jahren macht der Kontinent positiv auf sich aufmerksam. In fast allen Staaten haben sich stabile Demokratien entwickelt und die globale Wirtschafts- und Finanzkrise scheint Lateinamerika kaum zu berühren. Neben Ostasien ist Lateinamerika derzeit die Region mit den größten Wachstumsraten. Die nach wie vor klaffende Schere zwischen Arm und Reich wird in vielen Staaten kleiner, indigene Gruppen haben sich politisiert und werden gehört und selbst der Machismo wird nicht nur durch die Präsidentschaften Michelle Bachelets und Christina Kirchners in Frage gestellt. Schoepp fragt vor diesem Hintergrund, was die Welt von Lateinamerika lernen kann. Der Journalist berichtet von sozioökonomischen und kulturellen Integrationserfolgen des Kontinents, rekapituliert die Erfolgsgeschichten Brasiliens, Chiles und Argentiniens, schildert aber auch seine Eindrücke von dem nach wie vor bitterarmen Bolivien. Der Autor macht auf die verheerenden sozioökonomischen Konsequenzen der neoliberalen Privatisierungswelle der 90er-Jahre aufmerksam und ergreift Partei für die moderate Linke um Lula, Kirchner und Bachelet. An vielen Stellen flicht Schoepp Zitate führender lateinamerikanischer Intellektueller wie Rodolfo Walsh und Jorge Volpi in seine Reiseberichte ein. Schoepps Ausführungen sind selektiv. Handfeste kulturelle Differenzen zwischen den Staaten bleiben unerwähnt oder werden marginalisiert, indem sie gemeinsam gegen eine antagonistische USA artikuliert werden. Der Autor leistet somit einen Beitrag zur Konstruktion einer lateinamerikanischen Identität, die sich der „Aktualisierung des europäischen Gedankens“ (Octavio Paz) verpflichtet.