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Jacques Rancière (Hrsg.)

Chronik der Konsensgesellschaft. Aus dem Französischen von Richard Steurer. Hrsg. von Peter Engelmann

Wien: Passagen Verlag 2011 (Passagen Forum); 222 S.; 25,45 €; ISBN 978-3-85165-977-1
In der deutschen Übersetzung der „Chroniques des temps consensuels“ sind 34 kleine Aufsätze und Artikel Rancières von 1996 bis 2005 aufgelistet. Es sind eigenwillige Kommentare des französischen Philosophen zum kulturellen und politischen Zeitgeschehen. Der Autor wendet sich gegen den vermeintlichen Konsens innerhalb der westlichen Demokratien über gesellschaftliche Fragestellungen, fühlt deren Brüche und Konfliktlinien, ringt um die Meinung hinter dem Offensichtlichen in Film, Schrift und Denken. Dabei wird der herrschende Konsens zur „Maschine der Macht“ (12), bei der doch die allzu menschlichen Begierden im Öffentlichen und Privaten auf eine Reaktion aus durchsichtiger Scheinheiligkeit stoßen. Die moderne Demokratie erscheint ihm als Raum, in dem ihre Macht nicht mehr begrenzt wird und in dem sie alle Gräben zwischen Technik, Politik, Recht und Natur überwindet. Seine Artikel berühren die französische Gegenwart, aber auch den europäischen Einigungsprozess, die US-amerikanische Außenpolitik in Zeiten des Terrors und das Verhältnis von Kunst, Politik und Philosophie. Rancière versteckt zwar mehr seine Rettungsversuche der Philosophie als er deren Indienststellung zur Befriedigung der menschlichen Alltagssorgen anprangert. Aber er fordert, dass die Philosophie nach der Legitimität der Politik fragen, die Ethik aus den Klauen der politischen Mehrheitsmeinung befreien und das Recht als eigenen Wert betonen müsse. Dennoch schreibt er keine Anweisung zum Handeln, keine Aufforderung zum Aufstand gegen den Mehrheitskonsens, sondern tut auch dies als Wahn im menschlichen „Mechanismus der Unterwerfung“ (145) ab. Seine Schelte der sich anbiedernden, stummen oder widerständigen Intellektuellen entlarvt ebenso die Fratze einer elitären politischen Steuerung, die sich hinter den scheinbar naturgesetzlichen Imperativen von Wachstum, Stabilität oder der Unterscheidung von Gut und Böse verbirgt. Mit dem eigenen Denken nicht selbst zum Zweck werden, sich nicht für eine philosophische Synthetisierung vereinnahmen zu lassen, ist vielleicht die einzige tatsächliche Forderung Rancières.
Ellen Thümmler (ET)
Dr., Politikwissenschaftlerin, wiss. Mitarbeiterin, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.42 | 2.23 | 2.25 | 4.1 | 2.61 Empfohlene Zitierweise: Ellen Thümmler, Rezension zu: Jacques Rancière (Hrsg.): Chronik der Konsensgesellschaft. Wien: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34548-chronik-der-konsensgesellschaft_41497, veröffentlicht am 12.01.2012. Buch-Nr.: 41497 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken