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Christoph Goos

Innere Freiheit. Eine Rekonstruktion des grundgesetzlichen Würdebegriffs

Göttingen: V&R unipress 2011 (Bonner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen. Neue Folge 9); 245 S.; geb., 39,90 €; ISBN 978-3-89971-825-6
Diss. Bonn; Begutachtung: C. Hillgruber, C. Waldhoff. – „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ – So beeindruckend klar diese beiden ersten Sätze des Artikels 1 GG auf den ersten Blick auch sind, sie erweisen sich – wie alle Bestimmungen der Verfassung – als auslegungsbedürftig. Dass die Auslegung des identitären Kerns des Grundgesetzes kein einfaches Unterfangen ist, versteht sich dabei quasi von selbst. Goos nimmt sich der nachgerade heiklen Aufgabe an, das historische Verständnis von Menschenwürde von der Auffassung, die die Väter und Mütter des Grundgesetzes vertreten haben, bis in die Gegenwart hinein zu rekonstruieren. Als begriffliche Basis dieser Rekonstruktion dienen Goos die Begriffe Würde und innere Freiheit, deren Kerngehalt er unter Einbeziehung kontroverser Positionen für die frühe Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik politiktheoretisch und unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachzeichnet. Auch wenn deutlich wird, dass selbst zentrale, für das politische Selbstverständnis der Bundesrepublik tragende Verfassungsbestimmungen im politischen Raum immer einem interpretativen Wandel unterliegen, so vermag Goos doch zu zeigen, dass all diese Interpretationen auf einen gemeinsamen Kern zurückgehen: „Mit der ‚Würde des Menschen’ sollte die innere, geistige Freiheit des Menschen geschützt werden.“ (19) Dass eine solche Interpretation, wie sie etwa von Theodor Heuss oder Carlo Schmid vertreten wurde, heute nicht mehr genügt, um den Schutzauftrag der Verfassung zu erfüllen, vermag ein Blick auf die Debatte um die Präimplantationsdiagnostik verdeutlichen. Angesichts eines medizinischen Fortschritts, der schon pränatal gesundes von nicht gesundem Leben zu unterscheiden und damit über die Chancen der Geburt zu entscheiden in der Lage ist, reicht ein Schutz der geistigen Existenz ohne eine wirkungsvolle materielle Flankierung kaum noch aus. Insofern wird – und das ist insbesondere auch für die Politik eine Chance – der Kampf um die Deutungsmacht auch über so zentrale Begriffe wie die Menschenwürde weitergehen. Und obschon die Dissertation von Goos eher einen rechtswissenschaftlichen Charakter hat, so wird sie auch für an Polity-Fragen interessierte Politologen sowie für Historiker eine gewinnbringende Lektüre sein.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.32 | 2.323 | 5.41 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Christoph Goos: Innere Freiheit. Göttingen: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34555-innere-freiheit_41506, veröffentlicht am 20.12.2012. Buch-Nr.: 41506 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken