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Jörg Baberowski

Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt

München: C. H. Beck 2012; 606 S.; geb., 29,95 €; ISBN 978-3-406-63254-9
Die Menschen weinten, als Stalin starb. Warum waren sie nicht froh über den Tod des Gewalttäters? Dieses historische Phänomen scheint unverständlich. Für eine Erklärung aber bleibt in der eng an einem Argumentationsstrang ausgelegten Arbeit des Historikers Baberowski kein Raum, ebenso wenig wie dafür, dass die Sowjetunion trotz Bürgerkrieg, Terror und Krieg irgendwie funktionierte. Seine Perspektive ist allein durch das spätere, gegenwärtige Wissen über den Stalinismus bestimmt, den Baberowski als quasi ideologiefreie Tyrannei eines Psychopathen entzaubert. Selbst seine 2003 in „Der rote Terror“ aufgestellte These, in der er die Begründung des Regimes noch in Theorien der Moderne (Zygmunt Bauman) verortete, nimmt Baberowski zurück. Er konzentriert sich nun auf die Erzählung von roher, nackter Gewalt – sein Bekenntnis, dass ihn diese bis in den Schlaf verfolgte und ihm so zusetzte, dass er sich manchmal wünschte, ein anderes Buch zu schreiben, wird schnell verständlich, gerne hätte man etwas anderes gelesen. Aber wenn Geschichte für die Menschen als Richtungsweisung wie Warnung überhaupt einen Sinn haben soll, muss auch die des Stalinismus erzählt werden. Und in dieser Hinsicht leistet Baberowski einen bedeutenden Beitrag. Strukturiert arbeitet er die von Stalin initiierte Gewalt heraus sowie die Etablierung schließlich einer Herrschaft, in der die Untergebenen um des eigenen Überlebens willen im vorauseilenden Gehorsam fast wahllos töteten. Deutlich wird, dass die sowjetische Gesellschaft total von dieser Gewalt durchdrungen war – die persönlichen Konsequenzen und Zerrüttungen hat bereits Orlando Figes („Die Flüsterer“, 2008, Buch-Nr. 35200) eindrucksvoll beschrieben. Die zentralen Thesen Baberowskis allerdings, dass „Stalins Herrschaftsmodell [...] die Räuberbande“ (312) war und „Ideen nicht töten“ (11), lassen nach der peinigenden Lektüre den Zweifel zurück, ob sich die Geschichte des Stalinismus in der Gewaltdarstellung erschöpfen darf – oder ob nicht doch durch eine breitere Perspektive (auch auf die propagierte Ideologie) die Ratlosigkeit darüber, warum „der Mensch [...] des Menschen Feind“ (306) wurde, überzeugender aufgelöst werden könnte.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.622.25 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Jörg Baberowski: Verbrannte Erde. München: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34973-verbrannte-erde_42067, veröffentlicht am 16.05.2012. Buch-Nr.: 42067 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken