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Omar Kamil

Der Holocaust im arabischen Gedächtnis. Eine Diskursgeschichte 1945-1967

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012 (Schriften des Simon-Dubnow-Instituts 15); 237 S.; 49,99 €; ISBN 978-3-525-36993-7
Habilitationsschrift Leipzig; Begutachtung: D. Diner, W. Fach, C. Schumann. – Mit seiner prominent vorgetragenen Leugnung des Holocaust hat der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad mehrfach Empörung in der westlichen Welt hervorgerufen. Der ägyptisch-deutsche Historiker Kamil untersucht die ideengeschichtlichen Hintergründe solcher Äußerungen in der arabischen Welt vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Sechstagekrieg von 1967. Dafür hat er Beiträge aus mehr als 30 Zeitschriften und Zeitungen ausgewertet. Einige grundlegende Artikel erscheinen im Anhang erstmals kommentiert und auszugsweise in deutscher Übersetzung. Als von zentraler Bedeutung arbeitet Kamil überzeugend die enge Verbindung von Holocaust und Palästinafrage im Denken vieler arabischer Intellektueller heraus: Die Ablehnung der israelischen Staatsgründung und die mehrfache militärische Niederlage erschwerten eine angemessene Wahrnehmung des Holocaust. Parallel dazu werden die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen vielfach im Zusammenhang mit von Europäern im Rahmen der Kolonialherrschaft verübten Gewalttaten gesehen, schreibt Kamil. Wenn dieser Wahrnehmungszusammenhang und die daraus resultierende Existenz „konkurrierender Gedächtnisse“ (19) auch „künftig reflektiert“ werden, werde „dies einen wesentlichen Schritt zur Überwindung der arabischen Leugnung oder Relativierung des Holocaust darstellen“ (171), heißt es weiter. Sinnbildlich deutlich wird die Gedächtniskonkurrenz etwa am Datum des 8. Mai 1945: Es steht in Europa für die Kapitulation des NS-Regimes, in der arabischen Welt aber für von französischen Truppen in mehreren algerischen Städten verübte Massaker. Überhaupt bildet der Bezug auf europäische Entwicklungen und Debatten, so lautet ein weiterer wichtiger Befund, einen integralen Bestandteil der arabischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Deutlich wird dies in den drei zentralen Kapiteln des Buches, die sich mit drei Hauptakteuren solcher „diskursive[r] Überschneidung“ (22) – Arnold J. Toynbee, Jean-Paul Sartre, Maxime Rodinson – auseinandersetzen. Dabei zeigt sich eine selektive Rezeption, die sich primär auf israel- und europakritische Aussagen dieser Autoren bezieht.
Martin Munke (MUN)
M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.63 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Omar Kamil: Der Holocaust im arabischen Gedächtnis. Göttingen: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35179-der-holocaust-im-arabischen-gedaechtnis_42358, veröffentlicht am 08.11.2012. Buch-Nr.: 42358 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken