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Gerhard Wettig (Hrsg.)

Der Tjuľpanov-Bericht. Sowjetische Besatzungspolitik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

Göttingen: V&R unipress 2012 (Berichte und Studien 63); 424 S.; 39,90 €; ISBN 978-3-8471-0002-7
Bald nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen in Europa im Mai 1945 ließen die sowjetischen Behörden auf dem Gebiet der SBZ wieder Parteien als Organe der politischen Willensbildung zu. Was den Westmächten einen starken Demokratisierungswillen signalisieren sollte, war allerdings von Anfang an ein taktisches Manöver. Demokratisch sollte es aussehen, aber die sowjetischen Machthaber und die Vertreter der 1946 aus SPD und KPD hervorgegangenen SED wollten letztlich die Kontrolle behalten. Dass diese Kluft zwischen demokratischem Anspruch und autokratischer Wirklichkeit die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) in höchste Anspannung versetzte, bedarf wohl keiner Erklärung, denn zu der Rechtfertigung über Erfolg oder Misserfolg der Besatzungspolitik gegenüber dem Regime in Moskau gesellte sich bald nach dem Ende der Anti-Hitler-Koalition auch ein verschärfter ideologischer Kampf gegen die Westmächte. Oberst Tjul’panov war zwar selbst nicht an den Okkupationsbeschlüssen beteiligt, leitete aber deren Umsetzung und war dafür verantwortlich, dass den deutschen Genossen jedwede Unterstützung für den Aufbau einer sozialistischen Republik zuteil wurde. Dass Tjul’panov in der Hierarchie der SMAD nur in zweiter oder gar in dritter Reihe stand, schmälert nicht seine historische Bedeutung. Seine Meldungen und Berichte umfassen alle zentralen Fragen der Zeit, beginnend mit der Bodenreform, der Entnazifizierung und der gleichzeitigen Einbindung der Mitläufer in das neue System und der Verstaatlichung bestimmter Wirtschaftsbereiche über die Bedeutung der Gewerkschafts- und Kulturorganisationen bis hin zu Fragen über die Kirche oder die Rolle der Frau. Der hier erstmals in deutscher Sprache vorgelegte Bericht, der etwa zwei Drittel des Bandes umfasst und von einem einführenden Aufsatz begleitet wird, erweist sich damit zum einen als wertvolles und authentisches Quellendokument über die frühe sowjetische Besatzungspolitik und zum anderen als ein Paradebeispiel für die Wirkmechanismen der Propaganda.
Michael Vollmer (MV)
M. A., Politikwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, TU Chemnitz.
Rubrizierung: 4.22 | 2.314 | 2.62 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Michael Vollmer, Rezension zu: Gerhard Wettig (Hrsg.): Der Tjuľpanov-Bericht. Göttingen: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35440-der-tjuľpanov-bericht_42719, veröffentlicht am 06.09.2012. Buch-Nr.: 42719 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken