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Konrad Paul Liessmann

Lob der Grenze. Kritik der politischen Unterscheidungskraft

Wien: Paul Zsolnay Verlag 2012; 207 S.; geb., 18,90 €; ISBN 978-3-552-05583-4
Konrad Paul Liessmann, Professor am Institut für Philosophie an der Universität Wien, ist mit zahlreichen Arbeiten zur Zeitdiagnose hervorgetreten. Diese Intention verfolgt er auch mit dieser Publikation; sie beruht auf zum Teil stark überarbeiteten Aufsätzen und Vorträgen, die – bis auf eine Ausnahme – bereits zwischen 1999 und 2011 an unterschiedlichen Orten publiziert wurden. Gemeinsam ist diesen Texten zunächst, dass sie sich mit der Bedeutung und der Konstruktion von Grenzen teils in politischen, teils in lebensweltlichen Kontexten auseinandersetzen. Grenzen, stets historisch entstanden, haben unterschiedliche, oftmals widersprüchliche Funktionen von Schutz und Ausschließung. Ein angemessener Umgang mit dieser nahezu systemischen Ambivalenz von Grenzen verlangt politische „Unterscheidungs‑ und Entscheidungskraft“ (10); in dieser Hinsicht sollten die Texte weniger als ein naives Lob von Grenzen, sondern vielmehr als Votum für eine Differenzierungsbereitschaft gelesen werden, die sich auf die paradoxen, nicht selten unentscheidbaren Funktionen von Grenzen einlässt. Besonders überzeugend sind Liessmanns Überlegungen vor allem dann, wenn er sich – etwa an Fragen des sogenannten Humankapitals, der Stadtentwicklung oder einer europäischen Identität – mit den Grenzziehungen zwischen privaten und öffentlichen Interessen, zwischen dem faktischen Primat der Ökonomie und den Anforderungen der res publica befasst. Bei etlichen dieser Relationen sind wir heute mit Modernisierungsschüben konfrontiert, die „durchaus anti‑ und vormoderne Effekte haben können“ (89). Wenn vermeintliche Imperative ökonomischer Effizienz den Staat auf nichtprofitable Funktionen einschränken und Bildungswesen, kommunalen Wohnungsbau, öffentliche Infrastrukturen der staatlichen Zuständigkeit entziehen wollen, dann zeichnet sich das Bild eines Minimalstaates ab, der nur noch ein „Staat der Armen“ (90) wäre. Umgekehrt gibt es jedoch in Bereichen einer weit verstandenen Sicherheitspolitik auch gegenläufige Phänomene eines kontrollierenden, penetrant in die Freiheitsrechte eingreifenden Staates. Legt man beide Tendenzen übereinander, dann sind die Grenzen zwischen Staatserosion und Überdehnung staatlichen Regulierungswillens fließend.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Konrad Paul Liessmann: Lob der Grenze. Wien: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35530-lob-der-grenze_42859, veröffentlicht am 08.05.2013. Buch-Nr.: 42859 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken