Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik
Zeitgeschichtliche Arbeiten zum Politikfeld „Innere Sicherheit“ sind rar, erst recht, wenn dabei Archivalien neu erschlossen werden. Foschepoth, Historiker an der Universität Freiburg, bearbeitet unter Auswertung von Akten des Kanzleramts und der beteiligten Bundesministerien ein dunkles Kapitel bundesdeutscher Geschichte, das zwar Interessierten bekannt sein dürfte, in diesem Ausmaß und Exzess der Behördenpraxis jedoch mehr als überrascht und großes Unbehagen erzeugt – mit seinem Nachweis ist „Überwachung kein Alleinstellungsmerkmal der DDR mehr“ (272). Die jahrzehntelange, durch alliierten Souveränitätsvorbehalt aber gerade auch im Postverkehr mit der DDR mit bundesdeutschem Recht ausgeführte Zensur und Telefonüberwachung vollzog sich dabei unter permanentem Verfassungsbruch. Obwohl hier erst 1968 eine gesetzliche Grundlage geschaffen wurde, „gelang es der Bundesregierung dennoch“ (8), in „einem Rechtsstaat über Jahre allein mit dem Hinweis auf die Treuepflicht der Staatsdiener [...] die Beamten der Post, des Zolls, der Polizei, der Staatsanwaltschaften und auch der Richter zu gesetzes- und verfassungswidriger Öffnung, Beschlagnahme und Vernichtung von Millionen Postsendungen zu bewegen“ (272) – all das letztendlich 1970 auch verfassungsgerichtlich abgesegnet mit dem „konservativ-autoritären“ (205) G-10-Urteil des Zweiten Senats. Ganz im Sinne der Arbeiten im Umfeld von Ulrich Herbert gelingt dem Autor eine Entzauberung der zum reinen Erfolgsmodell hoch geschriebenen alten Bundesrepublik. Denn die Überwachung war nicht bloß ein Ausrutscher, sondern „strukturbildender Teil [...] der Weststaatsbildung“ (262), sodass sie sich regelrecht als „Staatsdemokratie“ (17) konstituierte – unter kräftiger Mitwirkung der SPD, die 1968 bereit war, die „Altlasten der Adenauerzeit [...] gesetzgeberisch zu entsorgen“ (271). Foschepoths herausragende Arbeit bestätigt damit zugleich den in der politischen Kultur bis heute wirkmächtigen Etatismus (vgl. Frieder Günther, „Denken vom Staat her“, 2004, Buch-Nr. 24687) und zeigt, wie wichtig quellengesättigte Arbeiten für die Politikwissenschaft sind. Dem Band ist ein einschlägiger Dokumentationsteil angehängt, in dem u. a. die geheime, wohl nie aufgehobene Zusatzvereinbarung mit den Westalliierten zum G-10-Gesetz erstmals zugänglich gemacht wird.