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Matthias Judt

Der Bereich Kommerzielle Koordinierung. Das DDR-Wirtschaftsimperium des Alexander Schalck-Golodkowski – Mythos und Realität

Berlin: Ch. Links Verlag 2013; 300 S.; brosch., 29,90 €; ISBN 978-3-86153-724-3
Häftlingsfreikauf, Waffenhandel, Hehlerei mit Kunst und Antiquitäten – im Herbst 1989 erfuhren die Bürger von den schmutzigen Geschäften der selbsternannten Friedensmacht DDR. Die Akteure waren Firmen, die dem Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) unterstellt waren; dieser und sein Leiter Alexander Schalck‑Golodkowski wurden schnell „zum Sündenbock für die gescheiterte Politik der Partei‑ und Staatsführung“ (11) gemacht. In seiner akribischen Aufarbeitung des Themenkomplexes verkoppelt Matthias Judt die DDR‑Wirtschaftsdaten mit den Aktivitäten der KoKo und zerlegt so deren Mythos in seine Einzelteile – im Ergebnis ist die Selbsteinschätzung Schalck‑Golodkowskis als Retter der DDR‑Wirtschaft nicht mehr zu halten. Gegründet wurde die KoKo in den 1960er‑Jahren, als die DDR international isoliert war, als Bereich des außerplanmäßigen Außenhandels mit besonderen Rechten. Es galt, Devisen zu beschaffen, um Konsumgüter einkaufen und vor allem in die Industrie investieren zu können. Auch nach der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR blieb dieser Bereich aktiv, hatte man sich doch den Ruf erworben, „ein höheres Maß an Vertraulichkeit bei sensiblen Geschäften“ zu bieten und „vielleicht die Feuerwehrfunktion beim Beseitigen von zeitweiligen Engpässen in der DDR‑Volkswirtschaft“ (251) zu erfüllen. Die KoKo‑Firmen arbeiteten nun überwiegend in der legalen Sphäre. Von großer Bedeutung waren Kompensationsgeschäfte, mit denen man versuchte, mit dem Einkauf im Westen zugleich DDR‑Waren zu verkaufen. Zugleich aber betrieb KoKo eine Investitionspolitik, die, so argumentiert Judt schlüssig, für die DDR‑Wirtschaft verhängnisvoll wurde: Gesetzt wurde auf die Erdölveredelung, um den billig aus der Sowjetunion bezogenen Rohstoff verarbeitet mit Gewinn weiterkaufen zu können. Als die Sowjetunion die Rohstoffpreise heraufsetzte, hatte dieses Modell maßgeblichen Anteil am wirtschaftlichen Niedergang der DDR. Weitere Geschäftsbereiche waren die Abnahme von Müll aus dem Westen sowie die Verrechnung der Geschenke westdeutscher Kirchen an ihre DDR‑Schwesterorganisationen – aus Geldnot wurden so die einzigen unabhängigen Institutionen im Teilstaat am Leben erhalten. Die KoKo‑Aktivitäten schadeten der DDR außerdem dadurch, dass die erwirtschafteten Devisen nicht vollständig an den Staatshaushalt abgeführt wurden – womit dieser stärker als nötig in den 1980er‑Jahren seine Kreditwürdigkeit verlor; die Kredite, die Schalck‑Golodkowski Anfang des Jahrzehnts mit Franz Josef Strauß aushandeln konnte, erzeugten nur eine Verschnaufpause. Nach den Berechnungen Judts besteht kein Zweifel daran, dass die DDR auch ohne den Mauerfall „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ (182) am Ende der 1980er‑Jahre wirtschaftlich zusammengebrochen wäre.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Matthias Judt: Der Bereich Kommerzielle Koordinierung. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35853-der-bereich-kommerzielle-koordinierung_43822, veröffentlicht am 13.06.2013. Buch-Nr.: 43822 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken