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Hannah Arendt

Wahrheit und Lüge in der Politik. Zwei Essays

München/Zürich: Piper 2013; 93 S.; kart., 8,99 €; ISBN 978-3-492-30328-6
Der Band versammelt zwei erstmals 1967 respektive 1971 veröffentlichte Aufsätze der politischen Denkerin Hannah Arendt und gruppiert sie als ewiges Streiten im Politischen. Wahrheit und Lüge in der Politik scheinen der zeithistorischen Beobachterin seit der Antike miteinander verbunden, brechen aber erneut auf in der amerikanischen Verarbeitung des Vietnam‑Krieges oder im trügerischen Selbstbild einer unverwundbaren Nation vor den Herausforderungen des Kalten Krieges. Abseits von Täuschung und Geheimhaltung als strategische Mittel denkt Arendt über die menschliche Einbildungskraft als Triebfeder zur Veränderung nach. Handeln als „etwas neu beginnen“ beruht auf der Fähigkeit, den bisherigen Standpunkt zu verlassen und die Wirklichkeit zu verändern. In diesem Sinne haben das Sprechen – ob nun die Wahrheit oder die Lüge – und das Handeln eine gemeinsame Quelle. „Handeln aber ist das eigentliche Werk der Politik.“ (9) Arendt formuliert dies als „Vergegenwärtigungsprozess“ (61), der explizit in der Welt und dem menschlichen Gegenüber zugewandt bleibt, sodass sowohl das Umbiegen von Wahrheit und Unwahrheit wie die Steuerung des Meinungsprozesses reflektiert wird. Arendt fordert, einen Standpunkt zum Ich und zum anderen zu gewinnen: „Die Verhältnisse, unter denen wir leben und die uns bedingen, können wir nur ändern, weil wir trotz aller Bedingtheit relativ frei von ihnen sind, und es ist diese Freiheit, die das Lügen ermöglicht und die gleichzeitig von ihm missbraucht und pervertiert wird.“ (74) Dabei ist das organisierte Manipulieren von Tatbeständen und Meinungen ein neues Phänomen des totalitären Zeitalters, das umso gefährlicher erscheint, wenn es zur Selbsttäuschung wird. Dass sich jene Unwahrheiten zur Propagandafiktion entwickeln, muss in einem kommunikativen Prozess der Handelnden selbst aufgedeckt werden. Arendt verlagert das Aushandeln der Politik in die menschliche Gemeinschaft und erneuert ihre politischen Ideen, die jenes allzu menschliche Ideal der Machbarkeit und Steuerbarkeit wiederum entlarven können. Wahrheit und Lüge in der Politik bleiben so verstanden ewig aktuell.
Ellen Thümmler (ET)
Dr., Politikwissenschaftlerin, wiss. Mitarbeiterin, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.42 | 5.46 Empfohlene Zitierweise: Ellen Thümmler, Rezension zu: Hannah Arendt: Wahrheit und Lüge in der Politik. München/Zürich: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35957-wahrheit-und-luege-in-der-politik_44066, veröffentlicht am 17.07.2013. Buch-Nr.: 44066 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken