Die Kritik der Gesellschaft. Die Transformation von Kritik unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung
Politikwiss. Magisterarbeit Duisburg‑Essen; Betreuung: R. Martinsen. – Innerhalb der an die Aufklärung anschließenden politischen Ideengeschichte hatte eine – sich auf Ansprüche der Vernunft berufende – grundsätzliche Kritik der Gesellschaft eine legitime Position. In der modernen polyzentrischen Gesellschaft erscheinen derartige Vorhaben obsolet. Mit außerordentlicher Schärfe hat zumal die Systemtheorie Niklas Luhmanns das Ende der Gesellschaftskritik erklärt – in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft seien weder allgemein geltende normative Standards verfügbar noch biete sie Raum für systemexterne Kritik. Jan Tekolf unterstellt Luhmanns Diagnose eine „adäquate Beschreibung unserer westlichen, modernen arbeitsteiligen Gesellschaft“ (87) und setzt sich von ihr ausgehend mit der Frage auseinander, welche Form Kritik heute annehmen müsste, „um nicht folgenlos oder leer, sondern kommunikativ anschlussfähig zu sein“ (13). Im ersten, umfangreichsten Teil seiner Arbeit will er anhand von vier repräsentativen normativen Positionen (Kant, Horkheimer/Adorno, Walzer, Foucault) zeigen, in welche Dilemmata sich der kritische Impetus verstrickt. Als Maßstäbe der Bewertung dienen die kognitive Begründung der Kritik, die Erreichung von Adressaten und die jeweils angestrebte praktische Wirkung. Zugleich zeige sich in der historischen Abfolge der Positionen, dass Gesellschaftskritik zunehmend an Sicherheit verliere, „die einzig richtige Weltbeschreibung anzufertigen“ (84). Als Kontrast hierzu umreißt Tekolf im zweiten Teil das Programm der Systemtheorie als deskriptiver Gesellschaftstheorie, die auf normative Ansprüche verzichtet und Aufklärung nur noch als systeminterne Kontingenzreflexion für möglich, aber auch sinnvoll hält. Tekolfs Studie ist vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg‑Essen als beste Abschlussarbeit des Jahres 2011 ausgezeichnet worden.