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Stefan Wolle

Der große Plan. Alltag und Herrschaft in der DDR (1949-1961)

Berlin: Ch. Links Verlag 2013; 438 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-86153-738-0
„‚Auch Tanzmusik ist eine Klassenfrage‘“, zitiert der Historiker Stefan Wolle einen Kohlekumpel, der im Januar 1959 auf einer Tanzmusikkonferenz ein Grußwort zu sprechen hatte – und diese „denkwürdigen Worte“ (350) illustrieren auf den Punkt, warum die DDR scheitern musste: Die dauerhaft repressiven Versuche, den Menschen jede Facette ihres Lebens vorzugeben, sei es die Musik, die sie hören sollten, die Kleidung, die als angemessen gesehen wurde (keine „Nietenhosen“!) oder die Art und Weise ihres Einsatzes für die Gesellschaft schrieb eine erstarrte Kleinbürgerlichkeit fest – und nicht etwa die propagierte sozialistisch entwickelte Persönlichkeit, was immer dies auch sein sollte. Es war, als sollte die Geschichte in ihrem Lauf aufgehalten werden, indem jede eigendynamische Entwicklung der Gesellschaft unterdrückt wurde. Das Ende dieses Experiments ist bekannt, aber Wolle beurteilt es nicht in der Rückschau, sondern in einer Bestandsaufnahme des Zusammenspiels und Gegeneinanders von Alltag und Herrschaft in der Konstituierungsphase bis zum Mauerbau. Es begann mit einem gravierenden Fehler: „Die im Oktober 1949 gegründete Deutsche Demokratische Republik war kein Staat, der von einer Partei dominiert wurde, sondern eine Partei, die sich aus den Trümmern der Geschichte einen Staat zusammengebastelt hatte.“ (78) Die DDR war damit zugleich „elementar an die Ideologie“ (85) gefesselt, funktionieren konnte sie nur über das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Wie dies verklärt wurde, zeigt Wolle mit vielen Zitaten aus Romanen, Liedern und Gedichten. Unübersehbar ist aber auch, wie die Diktatur versuchte, vor allem die junge Generation an sich zu binden. Aber gerade damit scheiterte sie – die jungen Menschen, die sich nach NS‑Herrschaft und Krieg nicht schon wieder blenden lassen wollten, konnten nur über Repression zum Mitmachen angehalten werden. Nicht nur sie wurden gegängelt, sondern auch alle anderen Bevölkerungsteile – und dies wie im Fall der zwangskollektivierten Landwirte mit drastischen Folgen für die Lebensmittelversorgung. Einzig die offene Unterdrückung der Kirchen misslang und wurde durch eine langfristige „Strategie der Zurücksetzung“ (244) ersetzt. Hunderttausende entzogen sich der Diktatur durch Flucht. Nicht wenige, die blieben, beteiligten sich am Aufstand des 17. Juni 1953, der, so ist sich Wolle mit der Literatur zu diesem Komplex einig, keinen Zweifel daran ließ, dass die DDR mit ihren falschen Versprechungen von einer besseren Welt, die der Wirklichkeit Hohn sprachen, gescheitert war. Ihre Bankrotterklärung gab sie 1961 schließlich mit dem Bau der Mauer ab, die „politisch nur wirksam [war], wenn dort auf jeden, der sie überwinden wollte, scharf geschossen wurde“ (403).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Stefan Wolle: Der große Plan. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36440-der-grosse-plan_44673, veröffentlicht am 21.11.2013. Buch-Nr.: 44673 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken