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Walter Krämer

Kalte Enteignung. Wie die Euro-Rettung uns um Wohlstand und Renten bringt

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2013; 232 S.; brosch., 19,99 €; ISBN 978-3-593-39924-9
In der Bundesrepublik gehört es offenbar dazu, dass sich Ökonomen, wenn sie sich im universitären System etabliert haben, zu den ganz großen Welterklärern entwickeln. Vielleicht ist es aber auch die geringe (politische) Resonanz von ökonomischen Erklärungsansätzen, die dazu führt, dass der Ton von Ökonomen immer alarmistischer wird und so dem eigenen Anliegen mehr schadet als nützt. Walter Krämer versteht seine Abhandlung explizit als Aufklärungsbuch, da „neun Zehntel der führenden Wissenschaftler des Landes“ (9) vor der gegenwärtigen Krise stehen und sie nicht verstehen. Der Autor will deshalb eine „Bringschuld der Wirtschaftswissenschaften“ (10) abtragen. Dazu problematisiert er zunächst die Frage, was Geld überhaupt ist, um anschließend die Geschichte von D‑Mark und Euro nachzuzeichnen. Ausführlich geht er auf die Anfangsjahre der Gemeinschaftswährung und die Behauptung ein, dass die Bundesrepublik vom Euro profitiere. Für ihn handelt es sich dabei um eine Fehlannahme, denn von Zinsgewinnen Deutschlands könne ebenso keine Rede sein wie von wachsenden Exporten in die Eurozone. Mit diversen Zahlenkolonnen versucht er dies zu untermauern. Dabei werden die aus Griechenland in die Bundesrepublik im Jahr 2011 importierten 1.015 Tonnen Strümpfe gegen 128 Tonnen Kugelschreiber aus Deutschland nach Griechenland gegeneinander aufgerechnet. Im zweiten Teil des Buches geht Krämer auf den Ökonomenprotest von 2012 ein, den er maßgeblich initiiert hat. Mit seinen Ausführungen nimmt er die Argumente der Gegner des Aufrufs („wohlmeinenden, aber ökonomisch vielfach ahnungslosen Gutmenschen“ [150]) auseinander. Auch hier verkneift sich Krämer diverse Seitenhiebe auf die Politik nicht. Zu den Sündenböcken zählt für ihn auch die EZB, die mit ihrer monetären Staatsfinanzierung die conditio sine qua non für jede Inflation schaffe, durch die die Zukunft der Bundesrepublik ruiniert werde. Die Bedienung des deutschen Anti‑Inflationsreflexes funktioniert also noch immer. Dass die EZB inzwischen die Sorge vor einer Deflation umtreibt und amerikanische Ökonomen appellieren, dass die Inflation in der EU besser um ein bis zwei Prozent über dem derzeitigen Stand liegen sollte, ignorieren solche schablonenartigen Argumentationsmuster. Entsprechend einfach sind die Rezepte, die Krämer anbietet: „automatische und glaubhafte Sanktionen bei Verletzungen des Stabilitäts‑ und Wachstumspaktes genauso wie mehr Kompetenzen für die EU‑weite Finanzpolitik“ (224). Dass dieses Maastricht‑Regime mit Griechenland und Spanien fast schon failing states hervorgebracht hat, die anderer Rezepte bedürfen, verschweigt Krämer.
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 3.5 | 2.343 | 3.3 | 2.22 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Walter Krämer: Kalte Enteignung. Frankfurt a. M./New York: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36503-kalte-enteignung_44322, veröffentlicht am 12.12.2013. Buch-Nr.: 44322 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken