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Beate Kaiser

Die Pionierorganisation Ernst Thälmann. Pädagogik, Ideologie und Politik. Eine Regionalstudie zu Dresden 1945-1957 und 1980-1990

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2013 (Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin 19); 435 S.; 71,95 €; ISBN 978-3-631-64330-3
Diss. FU Berlin; Begutachtung: K. Schroeder. – Bis zum Ende der DDR gehörten „nach offiziellen Angaben 99 %“ (17) aller Kinder im Alter zwischen sechs und 14 Jahren der einzigen staatlich legitimierten Kinderorganisation, der Pionierorganisation Ernst Thälmann, an. Deren Sinn und Zweck war eine systemkonforme Erziehung. Das Konzept basierte auf der Annahme, dass Kinder die Wertvorstellungen Erwachsener unkritisch übernehmen und damit für die langfristige Verankerung von Ideologien besonders offen sind, zitiert die Autorin aus einer früheren Studie von Leonore Ansorg zum gleichen Thema. Beate Kaiser geht in ihrer empirischen Regionalstudie mit Blick auf Dresden der tatsächlichen Wirkung dieser kommunistischen Erziehung nach – das abrupte Ende des Regimes legt nahe, dass die Indoktrination aller Kinder, die in der DDR aufwuchsen, nicht zum gewünschten Erfolg führte. Auf der Basis einer akribischen Aufarbeitung zahlreicher Dokumente aus zwei Phasen – Etablierung der DDR und ihrer Institutionen sowie Vorgeschichte der Wende – gelingt es der Autorin nachzuzeichnen, dass Organisation wie inhaltliche Vermittlung im Laufe der Zeit nur vordergründig immer besser funktionierten: In der Gründungsphase hatte die verantwortliche FDJ Schwierigkeiten, überhaupt Gruppenleiter zur Betreuung der Kinder zu finden. Die Organisation war zwar an den Schulen beheimatet und sollte ein integraler Teil des Schulalltags werden, die Lehrer aber hielten sich eher fern – entweder scheuten sie die Mehrarbeit und/oder suchten Abstand zur Ideologie der SED. Später wurde eine eigene Ausbildung für hauptberufliche Pionierleiter etabliert. Anwerben ließen sich dafür vor allem junge Frauen, die (nach eigener Familiengründung) bald wieder einen Berufswechsel anstrebten. Von den Funktionären wurde die gesamte Zeit über die mangelhafte ideologische Haltung beteiligter Akteure – Schulleiter, Lehrer, Eltern und Kinder – kritisiert. Die Pionierleiter scheinen sich in dieser Hinsicht zwar tadellos verhalten zu haben. Sie hatten aber nur einem festen Programm zu folgen (so wurde gemeinsam in Ferienlager gefahren, Recyclingmaterial gesammelt oder Grußkarten für Soldaten gebastelt), das auf die Vermittlung der Ideologie sowie die (oft vergebliche) Anwerbung der Jungen für die NVA abgestellt war und keine pädagogischen Freiräume vorsah – bis zum Ende der DDR sollte sich daran nach Erkenntnissen der Autorin nichts ändern: „Die Pionierorganisation blieb also im Kern eine Institution der 1950er Jahre, die die Lebenswelt der Nachgeborenen nur in Ansätzen integrieren konnte und damit Apathie bewirkte, die sich im Laufe der Jahre verfestigte.“ (416) Die Kinder passten sich also unter Druck nur oberflächlich an und nicht, wie vom SED‑Regime erhofft, mit dem Herzen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Beate Kaiser: Die Pionierorganisation Ernst Thälmann. Frankfurt a. M. u. a.: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36925-die-pionierorganisation-ernst-thaelmann_45014, veröffentlicht am 03.04.2014. Buch-Nr.: 45014 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken