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Christoph Horn

Nichtideale Normativität. Ein neuer Blick auf Kants politische Philosophie

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2014 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2074); 356 S.; 18,- €; ISBN 978-3-518-29674-5
Welchen systematischen Ort hat die Moral in Recht und Politik? Behält im Konfliktfall das Recht oder eher die Moral die Oberhand? Wie kann man sich den langsamen Übergang von rechtlosen Staaten mit unmoralischen Bevölkerungen zum wohlgeordneten Weltrechtsstaat vorstellen? Christoph Horn wendet sich der normativen Rechtsphilosophie Immanuel Kants zu und rekonstruiert, warum ein signifikanter Teil der bisherigen Kant‑Rezeption bei diesen Fragen in substanzielle Erklärungsnöte geraten muss. Horn beginnt mit einer Kategorisierung verschiedener Kant‑Interpretationen je nach ihrem systematischen Verhältnis von Moral und Recht: Besteht ein Abhängigkeitsverhältnis oder bleiben beide Seiten getrennt? Kann eine Konvergenz angenommen werden oder wird ein zusätzliches Transfersystem zwischen beiden Seiten nötig? Keine dieser Interpretationen lässt sich laut Horn überzeugend an Kants Werk belegen. Insbesondere die „Anwendungsthese“ (24) von Jürgen Habermas, laut der moralische Grundsätze durch geeignete Mittel auf die Rechtssphäre zu übertragen seien, als auch die These, Kant sei der Begründer des „Rechtsmoralismus“ (31) und hätte also einen Moralbegriff, der Recht und Ethik gleichermaßen zugrunde liegt, erteilt Horn eine eindeutige Absage: „Hier stecken manche Interpreten einfach in Kants Texte hinein, was sie von ihnen erwarten.“ (32) Diese ursprüngliche Irritation verfolgt Horn weiter bis zum Begriff der Menschenrechte – und zieht eine verblüffende Bilanz: Kants Vorstellung von Recht und Würde „lässt sich mit unserer Idee unveräußerlicher Menschenrechte keinesfalls zur Deckung bringen“ (73). Als Schlüssel für eine kohärente Interpretation von Kants Rechtsphilosophie entwickelt Horn die Grundzüge einer „Theorie nichtidealer Normativität“ (300). Nichtideal deshalb, weil sich aus „(stark) suboptimalen Bedingungen“ (321), das heißt nicht‑rechtsförmiger Staaten und unmoralischen Menschen, laut Kant unmöglich linear eine gute Ordnung herleiten lässt, sie muss somit mitunter auch durch Inkaufnahme von unmoralischen Ordnungen erst vorbereitet werden. Horns Buch stellt eine gelungene Irritation der festgefahrenen philosophischen Diskurse über Rechtsstaatlichkeit und Revolution dar und empfiehlt sich unbedingt für die Felder, in denen eine neue Kant‑Kritik derzeit wieder in Schwung kommt, sei es zu Kants Rezeption im Nationalsozialismus oder zur konstitutiven Rolle des europäischen Menschenrechtsdiskurses für Kolonialismus und Rassismus.
Florian Geisler (FG)
B. A., Politikwissenschaftler, Student, Goethe Universität Frankfurt am Main.
Rubrizierung: 5.335.415.42 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Christoph Horn: Nichtideale Normativität. Frankfurt a. M.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37234-nichtideale-normativitaet_45656, veröffentlicht am 26.06.2014. Buch-Nr.: 45656 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken