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Michael Genner

Verleitung zum Aufstand. Ein Versuch über Widerstand und Antirassismus

Wien: Mandelbaum Verlag 2012 (kritik & utopie); 255 S. ; brosch., 19,90 €; ISBN 978-3-85476-616-2
Michael Genners autobiografisch unterlegter Band ist weit mehr als ein Blick zurück – er ist gleichsam die Bestandsaufnahme einer österreichischen Gesellschaft, in der es das Fremde schwer hat, irgendwann einmal nicht mehr fremd, nicht mehr marginal oder einfach unbedeutend zu sein. Dabei sind Verzweiflung und Wut relevante Motive, die Genners Empörung über demokratische – eine in diesem Kontext merkwürdig hohl klingende Zuschreibung – Strukturen erklären können, zu denen auch die „Fremdenpolizei“ (9) gehört. „Am schlimmsten ist es, keinen Rat zu wissen. Wenn ein Mensch voll Vertrauen zu dir kommt und deinen Schutz erhofft“ (8), schreibt Genner, Flüchtlingsberater und Obmann der NGO Asyl in Not, einleitend. Es folgen Streifzüge durch die Unmenschlichkeiten des Asylrechts, deren Schilderung vor allem deshalb so eindringlich ist, weil Genner mit Betroffenen direkt gesprochen hat. So wurde er zu einem Augenzeugen ihres Lebens und Leidens in einer nicht aufnahmewilligen, nicht aufnahmefähigen Gesellschaft. Die wiederum hat auch mit ihm ihre Schwierigkeiten. In Folge einer Berichterstattung der Kronen‑Zeitung mitsamt Foto sah sich Genner wegen seines Einsatzes für Schutzbedürftige ganz unverblümten Todesdrohungen ausgesetzt: „Ich werde Dich töten, du Schwein. – Du wirst zerstückelt, du Ungeziefer. – Es wäre besser, du würdest Selbstmord machen. – Die verstümmelte Leiche von Michael Genner wird in Müllsäcken verpackt von der MA 48 entsorgt werden.“ (226) Die MA 48 ist die Behörde für Abfallwirtschaft und Straßenreinigung der Stadt Wien – so viel Ordnung muss dann eben sein. Der abschließende Ausblick lässt erahnen, dass Genners täglicher Kampf unglaublich viel Kraft gekostet hat und auch weiterhin kosten wird – im Buch wird das etwa durch punktuell auftretende Schwärzungen im Zusammenhang mit dem Namen Jörg Haider oder der Asylbehörde der Stadt Wien deutlich. Dabei stand das politisch strukturelle Problem des Rechtspopulismus gar nicht im Zentrum des Buches. Was bleibt, ist das klamme Gefühl, dass Genner viel über antidemokratische, unmenschliche Pathologien in Österreich berichtet hat – und dass sich frappierend ähnliche Geschichten auch über Deutschland erzählen ließen. Oder über Frankreich. Oder über die Schweiz. Oder…
{LEM}
Rubrizierung: 2.232.42.352.2632.343 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Michael Genner : Verleitung zum Aufstand. Wien: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37294-verleitung-zum-aufstand_43159, veröffentlicht am 17.07.2014. Buch-Nr.: 43159 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken