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Franz-Josef Brüggemeier

Weltmeister im Schatten Hitlers. Deutschland und die Fußball-Weltmeisterschaft 1954

Essen: Klartext 2014; 316 S.; 19,95 €; ISBN 978-3-8375-1212-0
„Wer die großen Darstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik zur Hand nimmt, die in den letzten Jahren erschienen sind, kann den Eindruck erhalten, die Weltmeisterschaft und die mit ihr verbundene Begeisterung hätten gar nicht stattgefunden“ (15). Diese Lücke verkleinert Franz‑Josef Brüggemeier, indem er den Gewinn der Fußball‑Weltmeisterschaft 1954 in die politische und gesellschaftliche Situation in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg einordnet. Das Buch entspricht bis auf wenige Ausnahmen seiner im Jahr 2004 erschienenen Monografie „Zurück auf dem Platz. Deutschland und die Fußballweltmeisterschaft“. Die Stimmungslage analysiert er vornehmlich anhand von Zeitungsartikeln und Reportagen, um einer retrospektiven Verfälschung der Ereignisse zu entgehen. Der Autor verdeutlicht das Spannungsverhältnis zwischen Sportbegeisterung, Innen‑ und Außenpolitik sowie der einsetzenden Vergangenheitsbewältigung und findet fast immer einen guten Mittelweg zwischen wissenschaftlicher Abstraktion und einprägsamen Fallbeispielen. Insbesondere „die Frage des Nationalismus in Deutschland war und blieb ein heikles Thema, das eine labile Mischung von Mißtönen, Sensibilität und Unsicherheit offenbarte“ (247). Dass beispielsweise vor dem Finale die erste Strophe der Nationalhymne gesungen wurde, führte zu erregten Diskussionen. Der Vermutung, der Titel habe als Wiedergutmachung für die Niederlage im Krieg gedient, erteilt er eine klare Absage. Ferner habe der Triumph keinesfalls „zu einer neuen nationalen Identität oder zur emotionalen Gründung der Bundesrepublik beigetragen“ (286). Vielmehr konzentrierten sich Politiker und Zeitungen nach dem Titelgewinn darauf, vor einem überhöhten Nationalgefühl zu warnen. „Selbst für die viel zitierte ,Wir sind wieder wer‘ Stimmung [sic!] finden sich keine Belege, weder in den damaligen Zeitungen noch in anderen zeitgenössischen Veröffentlichungen.“ (254) Deshalb übt Brüggemeier im Nachwort harsche Kritik an der deutschen Medienlandschaft, die das „Wunder von Bern“ seit einigen Jahren – wissentlich oder unwissentlich – massiv fehldeute. Durch die detaillierten historischen Beschreibungen auf der einen Seite und die gründliche Aufarbeitung der Weltmeisterschaft auf der anderen eignet sich das Buch sowohl für die sport‑ als auch für die zeitgeschichtliche Forschung.
Stefan Müller (SMÜ)
B. A., Politikwissenschaftler, Student, Trinity College Dublin.
Rubrizierung: 2.3132.35 Empfohlene Zitierweise: Stefan Müller, Rezension zu: Franz-Josef Brüggemeier: Weltmeister im Schatten Hitlers. Essen: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37531-weltmeister-im-schatten-hitlers_46090, veröffentlicht am 11.09.2014. Buch-Nr.: 46090 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken