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Rithy Panh

Auslöschung. Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet. Aus dem Französischen von Hainer Kober

Hamburg: Hoffmann und Campe 2013; 239 S.; geb., 19,99 €; ISBN 978-3-455-50264-0
Unter dem Schreckensregime der Roten Khmer kamen zwischen 1975 und 1979 geschätzte 1,7 bis 2,2 Millionen Menschen und damit ein Drittel der damaligen Bevölkerung ums Leben. Dies prägt die kambodschanische Gesellschaft bis heute. Der Autor Rithy Panh betreibt seit Jahren eine intensive Aufklärungsarbeit und hat bereits mehrere Filme über die Roten Khmer gedreht, darunter über die Folterstätte S21, über die ebenfalls ein erschütternder Bericht vorliegt (siehe Buch‑Nr. 44050). Die Vergangenheitsbewältigung in Kambodscha ist bis heute schwierig. Viele Täter wurden nie verurteilt und leben Tür an Tür mit den Überlebenden. „Einer der Folterer von S21 baut heute in aller Ruhe sein Gemüse an. Er ist der Vermittler in seinem Dorf geworden. Die Leute ziehen ihn bei Familien‑ oder Nachbarschaftsstreitigkeiten zu Rate“ (215). Panh versucht zu ergründen, wie ein solcher Genozid möglich war – was macht einen Menschen zum Täter? Hierfür interviewte er den Cheffolterer der Roten Khmer Kaing Guek Eav, genannt Duch, mehrfach in seiner Gefängniszelle. Im Buch wechseln sich die Schilderungen seiner persönlichen Erlebnisse mit den Interviewpassagen ab. Dabei zeigt sich immer wieder die Widersprüchlichkeit des Folterers, der sich rechtfertigt, lügt, Verantwortung leugnet und sich dabei gleichzeitig verständnisvoll, reumütig, eben menschlich gibt. Aus seiner Warte heraus hat er nichts Unrechtes getan, sondern zutiefst logisch gehandelt. Im Verlaufe des Buches wird deutlich, wie ein übermäßig intelligenter Mensch nach seiner Ideologisierung alle Hemmungen abbaute und das Foltern und Töten zur Routine, ja Notwendigkeit wurde: „Duch ist ein Ideologe: Die Feinde sind Abfall […]. Die Hände in den verwesten Leichen, in den Fleischfetzen, werden auch die Folterer in S21 zu Abfall. Sie werden ihrerseits entmenschlicht. Niemand entgeht dem Gehorsam und dem Terror.“ (109) Am Ende der Lektüre wird deutlich, dass Duch – mittlerweile gläubiger Christ – immer noch in seiner entmenschlichten Sprache und Denkweise gefangen ist und keine persönliche Verantwortung für sein Handeln sieht: „Ein Held ist, wer keine Angst vor dem Töten hat.“ (176) Das Buch erlaubt einen detaillierten Einblick in die Grausamkeit und Abgründe menschlichen Handelns. Dennoch schließt Panh: „Ich habe mich dieser Geschichte gestellt mit der Idee, dass der Mensch nicht von Grund auf schlecht sei. Das Böse ist nicht neu; das Gute auch nicht – aber, und das habe ich geschrieben, es gibt auch eine Banalität des Guten; und eine Alltäglichkeit des Guten.“ (235)
Fabrice Gireaud (FGI)
M. A., Politikwissenschaftler, Doktorand und wiss. Mitarbeiter, Institut für Sozialwissenschaften und Philosophie, Universität Vechta.
Rubrizierung: 2.682.25 Empfohlene Zitierweise: Fabrice Gireaud, Rezension zu: Rithy Panh: Auslöschung. Hamburg: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37606-ausloeschung_43804, veröffentlicht am 02.10.2014. Buch-Nr.: 43804 Rezension drucken