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Wolf Wetzel

Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf?

Münster: Unrast 2013; 180 S.; 2. überarb. und erw. Aufl.; 12,- €; ISBN 978-3-89771-548-6
Über die Mordanschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sind bereits einige Bücher erschienen, die über Ermittlungspannen, Widersprüche und Verfehlungen bei der Aufklärung der rassistisch motivierten Morde, wie sie beispielsweise durch die verschiedenen Untersuchungsausschüsse öffentlich geworden sind, informieren. Wolf Wetzel legt mit diesem Buch keine weitere Darstellung des NSU vor, sondern er stellt die Rolle des Verfassungsschutzes und der V‑Leute in den Mittelpunkt und hinterfragt die offizielle Version vom Versagen der Sicherheitsbehörden. Wetzel, antifaschistischer Aktivist und stellvertretender Vorsitzender von Business Crime Control, vertritt die These, dass es sich bei den Vertuschungen und Verfehlungen um ein organisiertes Vorgehen handelte und dass ein „staatlicher Rettungsschirm über dem NSU aufgespannt“ (80) wurde. „Das Staatsmärchen vom Behördenwirrwarr“ ist für den Autor „keine Entschuldigung, sondern eine vorsätzliche Verschleierung von Führungsstrukturen“ (38). Auch das „Zuständigkeitstheater zwischen den einzelnen Bundesländern“, mit dem die Aufklärungspannen begründet würden, sei „keinem Kommunikationschaos geschuldet, sondern einer Entscheidung auf oberster Dienstebene“ (41). Der Autor stellt eine Reihe von bisher nicht endgültig geklärten Fragen, etwa, ob die beiden NSU‑Mitglieder Böhnhardt und Mundlos tatsächlich Selbstmord begangen haben oder warum Beate Zschäpe sich den Behörden stellte. Im Wesentlichen bezieht er sich dabei auf Berichte und Reportagen der Medien, denen er allerdings zuvor vorwirft, durch ihre kritiklose Berichterstattung an dem verzerrten Bild mitgewirkt zu haben. Seine These stellt er in den Kontext der allgemeinen ausländerfeindlichen Stimmung der 1990er‑Jahre, die er kurz skizziert. Generalstabsmäßig sei von den etablierten Parteien eine Asyldebatte entfacht worden, die 1993 mit einer Zwei‑Drittel‑Mehrheit des Bundestags in eine „De‑facto‑Abschaffung des Asylrechts“ (27) gemündet sei und den Boden für neonazistische Gruppierungen wie dem Thüringer Heimatschutz, aus dem der NSU hervorging, bereitet habe. Aus diesem Blickwinkel sieht Wetzel „ein wesentliches Motiv, diese Mordserie geschehen zu lassen, darin, dass es den staatlichen Behörden ermöglichte, die ermordeten Kleinhändler in die Blutspur der organisierten Kriminalität im ausländischen Milieu zu legen“ (164). Gegen Ende des Buches gibt Wetzel noch einen Überblick über Faschismustheorien und die These von der „Faschisierung von Staat und Gesellschaft“ (143). Einer endgültigen, ergebnisoffenen Wahrheitsfindung dient dieses Buch nicht.
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Rubrizierung: 2.37 | 2.325 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Wolf Wetzel: Der NSU-VS-Komplex. Münster: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38057-der-nsu-vs-komplex_44001, veröffentlicht am 12.02.2015. Buch-Nr.: 44001 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken