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Wolfgang Krumbein / Julian Fricke / Fritz Hellmer / Hauke Oelschlägel (Hrsg.)

Finanzmarktkapitalismus? Zur Kritik einer gängigen Kriseninterpretation und Zeitdiagnose

Marburg: Metropolis-Verlag 2014; 160 S.; 18,- €; ISBN 978-3-7316-1056-4
Schon das Fragezeichen im Titel deutet darauf hin, dass das gängige Definitionskriterium des aktuell existierenden (neoliberalen) Finanzmarkt‑Kapitalismus hinterfragt und revidiert werden soll. Dieses Ziel verfolgen die Autoren anhand der vier Thesen, dass (1) die Finanzmärkte nur in Teilen aufgebläht sind, (2) keine Entkopplung, sondern eine Verkopplung von Real‑ und Finanzökonomie existiert, (3) keine Dominanz vom Finanzbereich ausgeht und somit (4) die Diagnose des Finanzmarktkapitalismus falsch ist. Die zweite These wird allerdings schon seit Längerem in der Neuen Wirtschaftssoziologie behandelt und dabei gerade die Verkopplung und das damit einhergehende Fehlen einer (Re‑)Regulierung des Finanzsektors als Problem identifiziert. Hinsichtlich der anderen drei Thesen aber gelingt den Autoren eine stringente und methodisch saubere quantitativ‑empirische Analyse. Die Lektüre wird dabei keineswegs, wie von ihnen befürchtet, mühsam, sondern im Gegenteil werden die Argumente in den folgenden qualitativ‑inhaltlichen Kapiteln empirisch ergänzt. So wird auch die Kernthese der Nicht‑Existenz des Finanzmarktkapitalismus nur mit Bezug auf die empirischen Befunde sowie im Bewusstsein der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus kritisch diskutiert. Trotzdem muss angemerkt werden, dass die Autoren in Bezug auf die Krisenursachen zwar die Bedeutung der Realökonomie herausheben, jedoch die Tatsache missachten, dass in einigen Fällen (Irland, Spanien) erst die Bankenrettung (Finanzökonomie) zu einer Staatsschuldenkrise (Realökonomie) geführt hat. Des Weiteren muss die Einschätzung hinterfragt werden, ob es sich bei der Krise 2007 um eine „große Krise“ handelt, was die Autoren verneinen: Als Grund geben sie die Reproduktion der ökonomischen Institutionen, die Fortführung der Austeritätspolitik und die immer noch anhaltende Bankenkrise an. Doch gerade diese Prozesse sind es, die Kritiker auch aus dem nicht‑linken Milieu anführen, wenn das Ausbleiben von Strukturreformen (in der Realökonomie) oder die mangelnde Neustrukturierung ökonomischer Institutionen (Bankenaufsicht, Finanztransaktionssteuer) sie zu dem Schluss kommen lässt, dass die große Krise noch nicht überstanden ist und auch deren Ursachen nicht beseitigt worden sind. Insgesamt aber kommt das Buch der Notwendigkeit, die Debatte auf eine empirische Grundlage zu stellen, mehr als nach.
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Rubrizierung: 4.432.22 Empfohlene Zitierweise: Christian Heuser, Rezension zu: Wolfgang Krumbein / Julian Fricke / Fritz Hellmer / Hauke Oelschlägel (Hrsg.): Finanzmarktkapitalismus? Marburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38254-finanzmarktkapitalismus_46684, veröffentlicht am 02.04.2015. Buch-Nr.: 46684 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken