Skip to main content
Lars Alberth

Die Fabrikation europäischer Kultur. Zur diskursiven Sichtbarkeit von Herrschaft in Europa

Bielefeld: transcript Verlag 2013 (Kultur und soziale Praxis); 257 S.; 32,99 €; ISBN 978-3-8376-2554-7
Diss. Wuppertal. – Gemeinhin wird die Kultur zumeist als ein den politischen und gesellschaftlichen Institutionen vorgängiges System betrachtet: Wie Gesellschaften funktionieren, welche politischen Ziele sie verfolgen, hängt von „ihrer Kultur“ ab. Aber wie entsteht Kultur? Ist ihre Fabrikation in soziale Relationen eingebunden? Wenn dies zutrifft, dann kann Kultur nicht als etwas der Gesellschaft Vorgängiges, Unverrückbares interpretiert werden, sondern ist rückgebunden an Macht‑ und Herrschaftsbeziehungen und damit einem permanenten Anpassungsprozess unterworfen. In Alberths Worten ist Kultur „eine Selbstverständigung über die Gegenwart mit ihren Grundlagen, Geschichten und Grenzen“ (14 f.). Durch den vermachteten Prozess der Kulturfabrikation werden zugleich Ein‑ und Ausschlüsse produziert und spezifische Interessen selektiv auf Kosten anderer Interessen gestärkt (beziehungsweise überhaupt sichtbar gemacht). Am Beispiel der „Berliner Konferenz“ von 2006, bei der sich Vertreter insbesondere aus Politik und Wirtschaft über die kulturelle Dimension Europas verständigten, zeigt der Autor diskursanalytisch, wie dort ein dominantes Verständnis der kulturellen Grundlagen Europas fabriziert wurde. Alberth leistet mit seiner Arbeit einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaftstheorie, indem er aufzeigt, wie Kultur sowohl als Grundlage als auch als Medium gesellschaftlicher Macht‑ und Herrschaftsbeziehungen fungiert. Die Stärke seiner Analyse könnte allerdings noch weiter reichen, wenn sich der Autor nicht explizit von kulturtheoretischen Arbeiten in der Tradition Gramscis und den Cultural Studies abgrenzen würde: Vor allem letztere (exemplarisch Raymond Williams) haben wiederholt gezeigt, dass Kultur und gesellschaftliche Traditionen insbesondere ein Resultat umkämpfter gesellschaftlicher Handlungen und Deutungsmuster der Gegenwart sind und durch soziale Praktiken kontinuierlich reproduziert beziehungsweise transformiert werden – eine Einschätzung, die sich durchaus mit Alberths Analyse trifft. Zugleich aber fehlen ihm – indem er sich auf die Analyse von Elitendiskursen beschränkt – die Kriterien, mit deren Hilfe sich die alltäglichen (Re‑)Produktionspraktiken von Kultur analysieren lassen. So ist am Ende fast zwangsläufig die Rede von „Herrschaftsstrategien der Veränderung“ (240) – was eine unidirektionale strategische Intentionalität impliziert, die mindestens problematisch ist.
{BW}
Rubrizierung: 2.612.22.23 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Lars Alberth: Die Fabrikation europäischer Kultur. Bielefeld: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38264-die-fabrikation-europaeischer-kultur_45449, veröffentlicht am 09.04.2015. Buch-Nr.: 45449 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken