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Avi Primor

Nichts ist jemals vollendet. Die Autobiografie

Berlin: Quadriga Verlag 2015; 431 S.; 22,99 €; ISBN 978-3-86995-077-8
Dass die deutsche Fassung dieser Autobiografie die Originalausgabe ist, überrascht auf den ersten Blick etwas, passt aber durchaus zu dem Engagement Avi Primors in Deutschland: Der studierte Politikwissenschaftler setzte sich nicht nur von 1993 bis 1999 als israelischer Botschafter erst in Bonn und dann Berlin für gute Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ein, sondern pflegt, wie er berichtet, auch immer noch viele persönliche Freundschaften mit Deutschen – womit zugleich der rote Faden in diesen Lebenserinnerungen benannt ist. Primor, der heute einen trilateralen Studiengang für israelische, palästinensische und jordanische Studierende an dem von ihm gegründeten Zentrum für europäische Studien am Interdisciplinary Center Herzliya leitet, misst persönlichen Kontakten einen hohen Stellenwert zu – auch und gerade in diplomatischen Beziehungen, die unter widrigen Umständen aufzubauen sind. Diese Annahme sah er bereits in seinen ersten Berufsjahren in Afrika bestätigt. Ein zentrales Thema in diesem Anschnitt sind die Schwierigkeiten Israels, entgegen des Drucks aus der arabischen Welt überhaupt diplomatische Beziehungen zu etablieren, sowie die relativ guten Beziehungen ausgerechnet zum südafrikanischen Apartheidregime – für Primor auch in der Rückschau ein Ding der Unmöglichkeit und immer noch nicht damit zu entschuldigen, dass lange sonst niemand mit Israel etwas zu tun haben wollte. Von dieser schwierigen internationalen Ausgangslage aus spiegeln diese Lebenserinnerungen denn auch den langen Weg Israels zur Anerkennung, verbunden mit dem jeweiligen Stand des Konfliktes mit den Palästinensern und der arabischen Welt. Bei der Lektüre besticht – ob mit Blick auf Afrika, die EU und dann Deutschland – Primors Offenheit. Die Politik in seiner Heimat wie auf dem internationalen Parkett offenbart sich so immer wieder als von fehlbaren Menschen gemacht. Seiner genauen Beobachtung entgeht dabei wenig, ob es der undemokratische Charakter der israelischen Schas‑Partei ist oder die eigentliche Priorität, die die Bundesrepublik sich gesetzt hat, sichtbar geworden nach dem Fall der Mauer: „Verblüfft nahm ich die Höhe der westlichen Hilfen und Investitionen im Osten zur Kenntnis: Eine Bevölkerung von sechszehn Millionen Einwohnern erhielt jährlich Transferleistungen in Höhe von 150 Millionen D‑Mark, also in nur einem einzigen Jahr so viel, wie Israel und alle Holocaustüberlebenden zusammen in den vergangenen fünfzig Jahren an Wiedergutmachungsleistungen bekommen hatten.“ (321 f.) Bei aller Freundschaft wird also dem Adressaten dieses Buches, dem deutschen Lesepublikum, auch ein ehrlicher Blick auf sich selbst angeboten.
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Rubrizierung: 2.12.634.222.315 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Avi Primor: Nichts ist jemals vollendet. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38571-nichts-ist-jemals-vollendet_46942, veröffentlicht am 25.06.2015. Buch-Nr.: 46942 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken